piwik no script img

Osman Engin Die Corona-ChronikenDer Coronazombie

Unser Hausmeister Herr Krummsack ist sehr streng.

Er besteht sogar in diesen Coronazeiten auf Treppenhausputz – meine Frau ebenso. Aber weil sie sich wegen der bösen Coronaviren nicht aus der Wohnung traut, bleibt der Treppenhausputz seit Monaten an mir hängen.

Nach meinem Geschmack ist unser Treppenhaus mehr als sauber, weil die Menschen sich gegenseitig nicht mehr besuchen.

So erkläre ich den beiden gegenüber den Treppenhausputz für erledigt.

Meine Frau zu überzeugen ist relativ einfach, da sie ja keinen Schritt vor die Tür macht. Herr Krummsack ist da schon ein anderes Kaliber.

„Herr Engin, ich hatte Sie bereits zweimal ermahnt“, nuschelt er hinter seinem grün-gelben selbstgenähten Blümchen-Mundschutz. „Sie müssen 100 Euro in die Hauskasse zahlen.“

„Aber... aber... ich...“, winde ich mich krampfhaft, um der drohenden Strafe irgendwie zu entkommen. „Ich... meine Frau...“, stammele ich todtraurig.

„Was ist mir Ihrer Frau?“, nuschelt er grüngelb.

„Sie... sie... sie kann doch nicht!“

„Warum kann sie denn nicht? Ist sie etwa tot?“

„Öööö... öööüüü...“

„Woran ist sie denn gestorben? Etwa an Corona?“

„Woran stirbt man denn sonst in dieser Zeit?“

Als ich am nächsten Morgen die Zeitung aufschlage, trifft mich der Schlag!

„Das große Coronasterben geht unaufhaltsam weiter. Der Karnickelweg hat auch sein erstes Corona-Opfer zu beklagen. Frau Eminanim Engin hat ihren Kampf gegen das Virus verloren“, steht auf der Stadtteilbeilage.

Herr Krummsack hat die Nachricht wohl sofort an unseren jungen Haus-Reporter Kevin weitergegeben.

Fünf Minuten später bekomme ich dutzende Beileidsanrufe.

Zum Glück bekommt Eminanim keinen Anruf – da sie ja tot ist.

Dank der Quarantäne, unter die unser Haus sofort gestellt wird, können unsere Bekannten auch nicht persönlich bei uns auf der Matte stehen, um mir ihre Trauer zu verkünden.

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Am nächsten Tag stehen ganze sieben große Traueranzeigen wegen Eminanims Tod in der Zeitung und der junge Reporter Kevin macht mit mir ein Telefoninterview über die letzten Coronatage meiner Frau.

Das einzig Schöne an dieser verzwickten Situation ist, dass Herr Krummsack sich nicht mehr traut, wegen Treppenhausputz bei mir zu klingeln, um sich nicht anzustecken.

Aber Briefe schreiben kann er leider immer noch.

„Herr Engin, für die große Traueranzeige, die wir als Hausgemeinschaft in der Zeitung geschaltet haben, müssen alle Parteien 100 Euro bezahlen. So auch Sie. Mit Treppenhausputz-Schulden zusammen bekomme ich jetzt 200 Euro von Ihnen. Bleiben Sie tapfer. Zeit heilt alle Wunden.“

Klar! Zeit lässt sogar Tote wieder auferstehen – Eminanim läuft seit Tagen quicklebendig durch die Wohnung.

Spätestens wenn die Corona-Epidemie vorbei ist, wird die ganze Stadt Zeuge dieses Wunders werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen