piwik no script img

Osman Engin Die Corona-ChronikenDas Corona-Grillen

Als ich mit Eminanim und mit vielen Einkaufstüten bepackt entlang der Weserwiesen nach Hause schlendere, sehe ich meinen Kumpel Nedim und seine Frau Hümeyranim sich auch mit Einkaufstüten abrackern.

„Hey, Osman, jetzt weiß ich, warum der Supermarkt eben wie leergefegt war“, lacht er.

„Weil du alles abgeschleppt hast“, antworte ich.

„Bleiben Sie bitte so! Aufnahme!“, brüllt plötzlich ein junger Mann und tippt dem Kameramann neben sich auf die Schulter.

„Halt, halt, halt, was soll das denn werden, wenn’s fertig ist?“, frage ich überrascht.

„Türken grillen während der Coronapandemie“, antwortet er.

Neugierig schaue ich mich um, aber nirgendwo sehe ich grillende Türken. Nicht mal grillende Deutsche.

„Hier gibt es doch gar keine grillenden Türken“, sage ich enttäuscht.

„Sie sind doch der grillende Türke“, antwortet der Reporter.

„Sie verwechseln uns“, kläre ich ihn auf.

„Mit wem denn? Wir warten hier seit drei Stunden, aber kein einziger Türke ist vorbeigegangen, geschweige denn einer, der gegrillt hätte“, lacht er.

„Wir leider auch nicht“, sage ich.

„Doch! Ihr habt gegrillt, bis die Polizei kam und euch weggejagt hat.“

„Freunde, diese Presseleute wollen uns in den Coronaknast bringen! Lauft weg, schnell“, rufe ich und wir spurten los.

Mit den vielen Tüten ist das nicht so einfach, aber die Konkurrenz hat noch viel mehr zu schleppen. Kameras, Mikrofone, Aufnahmegeräte, dicke Koffer.

„Jetzt rennen die Türken weg, nachdem sie unter Missachtung aller Coronaregeln ausgiebig gegrillt haben“, brüllt der Reporter ins Mikro.

„Nein, haben wir nicht“, brüllt Hümeyranim zurück.

„Lauft nicht weg, ich muss diesen Film unbedingt machen“, stöhnt der Reporter außer Atem.

„Schneller, schneller, die können nicht mehr“, treibe ich unsere Mannschaft nach vorn an.

„Nimm den Dicken auf“, keucht der Reporter.

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

„Ich bin nicht dick. Das ist nur der Quarantäne-Bauch“, rufe ich nach hinten.

Plötzlich sehen wir schockiert, dass uns von vorn ein Pulk Reporter den Weg abschneidet.

„Gut, ihr habt gewonnen“, röchele ich. „Wir grillen, aber richtig!“

„Wie meinen Sie das?“, röchelt der Reporter zurück.

„Sie müssen einen ordentlichen Grill, Grill­anzünder, Grillkohle, zwei große Decken und Besteck für uns alle besorgen. Alles andere haben wir gerade eingekauft.“

Zwei Praktikanten werden beauftragt, Grill und Zubehör zu besorgen. Und nachdem die Aufnahmen im Kasten sind, gesellen sich auch die Fernsehleute zu uns und es wird ein vergnüglicher Abend.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen