Oskar Lafontaine über sein Image: "Ich bin ein verkannter Mann"
Linke-Chef Lafontaine ist stolz, wenn CSU-Chef Huber von ihm die Idee mit der Pendlerpauschale übernimmt - auch wenn er die Pendlerpauschale eigentlich falsch findet.
taz: Herr Lafontaine, betreibt die Linkspartei klassische Umverteilungspolitik?
Oskar Lafontaine: Nein, das ist eher eine Rückverteilungspolitik. Die falsche Verteilung beginnt schon, wenn der Chef der Deutschen Bank, Ackermann, 14 Millionen Euro im Jahr verdient - oder richtiger: sich aus der Kasse der Deutschen Bank nimmt - und der Wachmann nur fünf Euro in der Stunde.
Ihr Parteigenosse Helmut Holter fürchtet trotzdem, dass an den Linken das "Etikett der Umverteilungspartei kleben" bleibt - und fordert solide Staatsfinanzen. Einverstanden?
Selbstverständlich. Vor Ihnen sitzt ein ehemaliger Bundesfinanzminister, der in den Neunzigerjahren den Haushalt mit der geringsten Nettoneuverschuldung eingebracht hat. Aber ich glaube, dass wir die Staatsfinanzen nur sanieren können, wenn wir nicht ausgerechnet dann sparen, wenn die Konjunktur lahmt. Diesen Fehler hat Rot-Grün gemacht. Man braucht Wachstum, um einen Haushalt zu konsolidieren.
Die Linkspartei will, dass der Staat jährlich mindestens 50 Milliarden Euro mehr ausgibt. Das klingt abenteuerlich. Wo soll das Geld denn herkommen?
Ich verstehe nicht, was daran abenteuerlich sein soll. Wenn Deutschland die gleiche Steuer- und Abgabenquote wie der EU-Durchschnitt hätte, dann würde dies sogar Mehreinnahmen von 120 Milliarden Euro bedeuten.
Und welche Steuern wollen Sie konkret erhöhen?
Wir wollen die Steuern für Facharbeiter und Klein- und Mittelbetriebe senken. Gleichzeitig möchten wir die größeren Einkommen stärker an der Finanzierung des Staates beteiligen - über einen steigenden Spitzensteuersatz, höhere Erbschaftssteuern, eine Vermögens- und Börsenumsatzsteuer. Und wir wollen Unternehmensgewinne stärker besteuern.
Besserverdiener und Firmen werden sich zu wehren wissen. Wie wollen Sie eine Kapital- und Steuerflucht verhindern?
Kapitalflucht gibt es überall. Aber auch die EU-Staaten mit einer höheren Steuer- und Abgabenquote bekommen sie in den Griff und nehmen mehr ein als der deutsche Staat. Zum Beispiel bei der Vermögenssteuer: Wenn Deutschland sich an den USA und Großbritannien orientieren würde, dann kämen wir auf Mehreinnahmen von 50 bis 60 Milliarden Euro jährlich.
Die Linkspartei will mehr Steuern für Reiche, keine private Rentenversicherung, Bahn und Strom in staatlicher Hand - das klingt wie die Bundesrepublik der Siebzigerjahre. Aber die Republik hat sich doch grundlegend verändert. Müssen Sie nicht neue Antworten suchen, statt alte Formeln auszugeben?
Dass wir zurück in die Siebzigerjahre wollen, ist eine Polemik unserer Gegner. Was stimmt, ist: Wir haben heute einen von den Finanzmärkten getriebenen Kapitalismus. Deshalb brauchen wir neue Antworten. Und die geben wir. Denn wir haben als Erste eine Reregulierung und Kontrolle der internationalen Finanzmärkte gefordert. Zweitens: Wir waren gegen die Zulassung von Hedgefonds in Deutschland, weil sie mit geringem Mitteleinsatz eine riesige Hebelwirkung erzeugen können. Drittens: Wir erleben, dass ganze Betriebe von Finanzinvestoren ausgeschlachtet werden. Gegen diese Fehlentwicklung brauchen wir mehr paritätische Mitbestimmung und die Beteiligung der Arbeitnehmer am Betriebsvermögen.
Sie wollen "die Barbarei der kapitalistischen Gesellschaft überwinden"…
…das ist ein Zitat von Rosa Luxemburg.
Und wo ist in Deutschland im Jahr 2008 diese Barbarei zu besichtigen?
Man kann die Zustände bei Lidl barbarisch finden. Bestimmt aber ist der Ölkrieg, den die USA im Irak führen, barbarisch. Der französische Sozialist Jean Jaurès hat gesagt: "Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen."
Sie zitieren überhaupt gern: Sie wollen auch Passagen des Kommunistischen Manifests in das Programm der Linkspartei übernehmen.
Das war eine Antwort auf eine polemische Frage der Welt. Natürlich wird unser Programm nicht in der Sprache des 19. Jahrhunderts verfasst. Es geht um die Inhalte.
Trotzdem: Das Kommunistische Manifest ins Parteiprogramm, die Vertreterin der Kommunistischen Plattform Sahra Wagenknecht wird eventuell Vizechefin - ist die Linkspartei auf einem Retrotrip?
Der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer hat 1959 bei der Verabschiedung des Godesberger Programms gesagt, dass das Kommunistische Manifest ein Gründungstext der Arbeiterbewegung sei. So sehe ich das auch. Die Vision einer freien Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung ist kein Retrotrip.
Die Linkspartei hat im Westen zwar erstaunliche Wahlerfolge erzielt, aber nur 16 Prozent der Wähler können sich vorstellen, irgendwann mal die Linkspartei zu wählen. Bei FDP und Grünen sind es 30 Prozent. Wie wollen Sie aus diesem engen Milieu heraus?
Wir sind noch eine sehr junge Partei. Deshalb können wir noch nicht die gesellschaftliche Akzeptanz anderer Parteien haben. Außerdem werden wir von allen anderen bekämpft und diskreditiert.
Gerade das nützt der Linkspartei doch.
Aber es schadet auch, wenn wir versuchen, neue Milieus zu erreichen.
Wähler im Westen, etwa in Hessen und Niedersachsen, trauen der Linkspartei keineswegs zu, Probleme zu lösen. Sie wählen links, weil sie ihren Protest bekunden wollen.
Es ist kein Wunder, dass einer jungen Partei, die noch nicht im Landtag war, kaum einer zutraut, Probleme zu lösen. Das ist doch normal. Wir haben einen Ausbau des Niedriglohnsektors, einen Abbau von Sozialleistungen und seit vielen Jahren Reallohnverluste. Die Masse wird abgehängt, eine Elite bevorzugt. Das wollen wir ändern. Und mehr als zwei Drittel der Wähler halten unsere Kernforderungen für richtig. Das spricht doch sehr dagegen, uns als Protestpartei abtun zu können.
In der Linkspartei bilden sich Flügel heraus: im Osten eher Realos, im Westen eher Fundis. Wo verorten Sie sich da? In der Mitte der Partei?
Ja. Allerdings halte ich die Unterschiede zwischen diesen Strömungen für nicht so groß, wie oft getan wird. In Kernfragen, ob etwa öffentliches Eigentum oder Sparkassen privatisiert werden sollen, ist sich die Linkspartei einig.
Aber Sie haben pragmatische PDS-Politiker im Osten als "rechte Sozialdemokraten" bezeichnet.
Ich habe gesagt: Wer kommunales Wohneigentum verkauft, um den Haushalt zu sanieren, handelt wie ein rechter Sozialdemokrat. Einige, die in Dresden für diesen Totalverkauf gestimmt haben, sind ja auch nicht mehr in der Linkspartei.
In der Linkspartei sind sich also alle einig und es gibt keine Flügel. Aber im Osten sagen viele: Man kann nicht nur einen Mindestlohn von 8,44 Euro fordern - man muss auch sagen, wie man ihn einführt, ohne Arbeitsplätze zu riskieren. Sie aber begnügen sich damit, die Linkspartei als Protestpartei zu etablieren, die viel fordert, ohne in die Verlegenheit zu kommen, etwas zu realisieren.
Ach, ich habe 25 Jahre lang Regierungsverantwortung gehabt. Ich hoffe, dass man mir abnimmt, dass ich weiß, wie man etwas umsetzt. Richtig ist: Die Linkspartei verändert derzeit - bei der Rente oder bei der Steuerpolitik - in der Opposition mehr, als sie es in der Regierung könnte. Wir bestimmen die Debatten in den anderen Parteien mit. Was will eine neue Partei mehr?
Regieren zum Beispiel. Aber Ihnen reicht es ja, in der Opposition zu sein.
Nein, wir wollen Politik verändern. Das geht auch in der Opposition. Aber gegen die Bezeichnung Protestpartei wehren wir uns. Wenn wir im Bundestag für die Wiedereinführung der Pendlerpauschale sind und andere Parteien wie die CSU dies übernehmen, dann sind wir eine Partei, die gestaltet.
Aber ist die Pendlerpauschale sinnvoll? Schließlich wirkt sie nach dem Gießkannenprinzip: Auch der Porsche-Fahrer profitiert davon.
Wissen Sie, eigentlich halte ich fast alle Steuervergünstigungen für falsch - auch die Pendlerpauschale. Denn das Bild der Gießkanne stimmt ja nicht. Fast ein Drittel der Beschäftigten haben von Steuervergünstigungen gar nichts, weil sie so wenig verdienen, dass sie gar keine Steuern zahlen. Steuervergünstigungen wie die Pendlerpauschale kommen nur Arbeitnehmern oberhalb des Niedriglohnsektors zugute, obwohl gerade Niedrigverdiener Förderungen am nötigsten hätten. Das ist ein strukturelles Problem, das schwer zu vermitteln ist. Wir müssen bei sozial bedingten Förderungen zu direkten Zahlungen übergehen.
Was halten Sie eigentlich von Arbeitsverkürzungen ohne vollen Lohnausgleich? Also weniger arbeiten und weniger verdienen.
Das habe ich 1988 gefordert…
…und dafür Ärger mit den Gewerkschaften bekommen.
Ja, ich halte das noch immer für richtig. Wären wir an der Regierung, dann würden wir das im öffentlichen Dienst bei höheren Einkommen umsetzen. Als ich im Saarland regiert habe, gab es dort viele Lehrer, die keine Stelle fanden. Wir haben Zweidrittelstellen geschaffen, um allen Jobs zu geben. Damit sind wir gut gefahren.
Also ist da eine gerade Linie bei Ihnen von 1988 bis heute?
Durchaus. Der Tarifvertrag in Berlin, den Frank Bsirske 2003 unterschrieben hat, entsprach diesem Konzept: Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, um nicht zu viel Personal abzubauen. Davon muss man natürlich Niedrigverdiener ausnehmen, weil denen sonst zu wenig bleibt. Ich weiß, dass das nicht populär war. Aber es ist wichtiger, dass Leute ihre Jobs behalten.
Vor zwanzig Jahren haben Sie mehr Samstags- und Sonntagsarbeit gefordert. Und heute?
Ich habe auch für die Steuerfreiheit der Schicht- und Feiertagsarbeit gekämpft. Wenn der Betriebsrat der Wochenendarbeit zustimmt und auf die Familien Rücksicht nimmt - warum nicht? Wenn etwa Junggesellen sonntags arbeiten wollen, kann ich nicht erkennen, was dagegenspricht. Warum lachen Sie?
Wenn man Sie so abgewogen reden hört, hat das wenig mit dem Bild des radikalen Populisten zu tun…
Sehen Sie, ich bin ein verkannter, braver Mann.
Spielen Sie eigentlich mit dem Image des Radikalen?
Ja und nein. Eigentlich will man nicht dauernd angefeindet werden. Aber andererseits ist es wichtig, gegen den Strom zu schwimmen. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom, sagt ein chinesisches Sprichwort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml