Oscar-Verleihung: Das Kino als Krisengebiet
Jean Dujardin gilt als Oscar-Favorit. Er ist der Star in "The Artist", der Hommage an den Stummfilm, die den verlorenen Glamour Hollywoods feiert.
Wenn große Stars auf einen wichtigen Termin hinfiebern, dann tun sie das manchmal im buchstäblichen Sinn: Jean Dujardin hat Husten, und es galt für eine kleine Weile als offiziell ungewiss, ob er am Wochenende zur Oscar-Verleihung nach Los Angeles reisen kann. So war das neulich auch schon einmal mit Shah Rukh Khan und der Berlinale. Aber für den großen männlichen Favoriten für die wichtigste Filmpreisverleihung der Welt wird sich wohl noch ein Remedium finden lassen.
Jean Dujardin ist der Star in "The Artist", der Hommage an den Stummfilm von Michel Hazanavicius, die in zahlreichen Kategorien nominiert wurde. Es wäre eine Überraschung, wenn dieser Film, auf den sich so unterschiedliche Publikumsgruppen einigen können, am kommenden Sonntag nicht die wichtigsten Trophäen holen würde: bester Film, beste Regie, bester Hauptdarsteller.
Nur der ewige Provokateur Bret Easton Ellis ließ im digitalen Gezwitscher verlauten, er glaube an eine Auszeichnung für George Clooney, der in "The Descendants" ausnahmsweise einmal nicht ultracool und superslick auftritt.
Ironiefreier Glamour
"The Artist" verweist die amerikanische Filmindustrie auch auf ein Spiegelbild ihrer selbst, in dem sie sich gar nicht mehr wiedererkennen will. Denn Hazanavicius punktet ungeniert mit einer Überdosis Glamour, die kaum ein Gran Ironie enthält. Und Glamour, also jener Faktor, den die großen Studios vor 60 Jahren noch produzierten, als ginge es um eine eigene Währung, ist schwer in Misskredit geraten.
De facto sind es schon seit vielen Jahren gerade noch die Oscars, die einmal im Jahr die Stars aus den Krisengebieten einsammeln, in denen sie sich gerade umtun und neue Adoptivkinder suchen, um sie in teure Kleider zu stecken und über den roten Teppich zu jagen.
Die Oscars simulieren eine Industrie, die ihr Geld längst vorwiegend in 3-D, Animation und großflächiges Konsumrealitätenrendering steckt, dass alles noch so läuft wie 1929, als die Oscars zum ersten Mal vergeben wurden, oder 1974, als mit "Der Clou" ein vergleichbar nostalgisches Thema wie in diesem Jahr ganz oben stand. Damals war übrigens auch globale Katerstimmung.
"The Artist" verweist nun aber darauf, dass Hollywood im weltweiten Kopieren und Umschreiben von Brands und Images längst nicht mehr amerikanisches Besitztum ist, sondern eben ein zirkulierendes Zeichen, das der überraschend cinephile Hazanavicius übrigens sehr deutlich in den Zusammenhang der europäischen Exilanten stellt, die das "goldene Zeitalter" des amerikanischen Kinos prägten.
Wim Wenders im Rennen
Wie sich daneben das dumme Rassismusdrama "The Help" schlägt, ob Terrence Malicks bisher schlechtester Film, der schwülstige "The Tree of Life", etwas holen kann, das sind Petitessen am Rand. Das deutsche Interesse ist stark auf Wim Wenders konzentriert, der mit "Pina" im Rennen um den besten Dokumentarfilm ist. Darüber hinaus hat aber auch die Berliner Kostümbildnerin Lisy Christl (nominiert für den in Babelsberg gedrehten "Anonymous") eine reelle Chance.
Die spannendste Kategorie für Freunde des Kinos ist eindeutig: bestes Originaldrehbuch. Hier konkurriert Hazanavicius mit Kristen Wiig und Annie Mumolo ("Brautalarm"), J. C. Chandor ("Der große Crash"), Woody Allen ("Midnight in Paris") und, tatsächlich, Asghar Farhadi, dem iranischen Regisseur und Autor von "Nader und Simin".
Diese letzte Personalie verweist ebenfalls auf das dramatische Maß der Globalisierung der Oscars. Ein Eindruck, der allerdings nur die Oberfläche betrifft und nicht darüber hinwegtäuschen darf, wie abwesend das Weltkino in den USA nach wie vor ist. Gleichwohl wird der Oscar mehr internationale Flugbewegungen denn je erforderlich machen. Und wer am Ende leer ausgeht, muss vielleicht verschnupft nach Hause fliegen.
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