piwik no script img

Ortstermin im FlüchtlingslagerEin Planet, zwei Welten

Nachdem Asylsuchende die Zustände im Flüchtlingslager Horst angeprangert haben, luden die Verantwortlichen zum Ortstermin - und wiesen alle Vorwürfe zurück.

Protestieren gegen die Zustände: Asylsuchende im Flüchtlingslager Horst. Bild: mac

Der Herr Staatssekretär ist da, der Leiter des Landesamts für Migration auch und der Chef der Hamburger Ausländerbehörde sowieso. Großer Bahnhof in Horst, dem Grenzort zwischen Lauenburg und Boizenburg, der eigentlich nur aus Lager besteht. Die Sonne putzt die scheckigen Baracken schön und schön lassen die Worte der drei anwesenden Herren die Situation in dieser "Erstaufnahmeeinrichtung" für Asylsuchende das Leben in diesem Lager erscheinen.

Der Schweriner Innenstaatssekretär Thomas Lenz hat die Moderation übernommen und erklärt den Anwesenden, dass alle Vorwürfe, die gegen das Lager erhoben wurden, jeder Grundlage entbehren würden: Die medizinische Versorgung der 337 zur Zeit hier lebenden Flüchtlinge sei gut, dass Essen zwar aus der Kantine, aber abwechslungsreich und ohne Schweinefleisch. Außerdem sei keiner der 111 Asylsuchenden, die Hamburg zur Zeit in Horst untergebracht hat, länger als drei Monate hier.

"Natürlich kann man immer noch was verbessern", sagt der Staatssekretär und macht zugleich deutlich, dass ihm eigentlich nicht viel einfällt, was geändert werden sollte. Okay, da heute doppelt so viele Asylsuchende hier untergebracht sind wie noch vor wenigen Monaten, werde noch ein zweiter Arzt angeworben, um die medizinischen Sprechzeiten zu verdoppeln. Aber sonst?

Und die Hungerstreiks im Lager? Lenz und Wolf-Christoph Trzeba vom Landesamt für Migration wissen nur von einem Flüchtling, "der vorgibt, das Essensangebot abzulehnen". Dass der Hamburger Flüchtlingsrat von zehn bis fünfzehn Hungerstreikenden spricht, im Lager Transparente mit "Hungerstreik - Bis sich was ändert!" ausgerollt wurden - Schulterzucken bei den drei Herren.

Sprechen mit den Flüchtlingen, das dürfen die eingeladenen Journalisten auch, wobei die Lagerinsassen gehofft und erwartet haben, dass nun mal einer der Verantwortlichen - wo sie doch alle schon mal hier sind - direkt mit ihnen spricht. Wer den Asylsuchenden zuhört, bekommt eine andere Wahrnehmung des Lagers gespiegelt. Während ein Koch vorbereitete Speisepläne an die Journalisten verteilt, in denen sich Rinderbraten und bunte Fischpfanne finden, erzählen die Flüchtlinge, dass es jeden Tag nur "Reis oder Nudeln" gäbe.

Mehrere schwangere Frauen berichten, dass ihnen jede gynäkologische Voruntersuchung verweigert worden sei, Schwangerschaftsbeschwerden würden mit Paracetamol behandelt. Der Hamburger Flüchtlingsrat hat eine Liste von einem halben Dutzend Fällen erstellt, in denen Schwerkranken eine Behandlung verweigert worden sei. Die Ärztekammer ist eingeschaltet.

Jeder hat hier etwas zu beklagen und alles passt so gar nicht zu dem, was die drei Herren vom Amt erzählen. Sollte da vielleicht, irgendwo mitten im Auffanglager Horst, ein Paralleluniversum existieren?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • P
    Pablo

    Wie immer wird alles abgestritten. Warum diese Lager immer ausserhalb von Städten sind, frei nach dem Motto aus den Augen aus dem Sinn der Bevölkerung. Es wird doch alles getan das Asylsuchende keinen Kontakt mir hier frei Lebenden Menschen haben und die sich kein eigenes Bild von der Lage in den Lagern machen können.