Ortstermin: die Stadtbibliothek Bremen und die digitale Welt : Skeptisch in die Zukunft
In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms
Es ist wohl selten jemand zu einer so stillen, fast verzagten Revolutionärin geworden wie Erna Friedel. Noch nie begann ein neues Zeitalter so bescheiden an einem Computertischchen in einem so heimeligen Wohnzimmer im Bremer Steintorviertel, unter einer Dachschräge. Niemals kam ein Umsturz so ohne jedes Tamtam aus wie dieser, dafür mit einer Skepsis, die jede Entschlossenheit zum Radau, der doch jede Revolution begleiten muss, vermissen lässt.
Aber vielleicht sollte das gerade so sein, um diese Revolution sanft ins Bewusstsein derer gleiten zu lassen, die hinter diesem Umsturz den Untergang des Abendlandes, zumindest aber einen bremischen Beitrag dazu, sehen werden. Dieser Umsturz wurde auch noch von oben geplant – Frau Friedel, Rentnerin, 65 Jahre, ist ja nicht von sich aus zur Revolutionärin geworden. Es geht ums gute, alte Buch in der digitalen Welt.
Hat es denn dort überhaupt noch Platz? Wird es auch in Zukunft dieses unnachahmliche Gefühl leinener Einbände geben und den Muff alten Papiers – oder wird sich das Buch in schwer zu fassende Bytes auflösen?
Frau Friedel sagt: „Ich bleibe bei Büchern.“ Und damit meint sie die, die man aus einem Regal zieht, aufschlägt und in den Händen halten kann.
Trotzdem kam es so, dass Frau Friedel von der Stadtbibliothek Bremen als die Nutzerin ausgewählt wurde, die als erste vom heimischen Wohnzimmer aus den Klick zum digitalen Buch machte. Zum Buch, das gar nicht mehr physisch existent ist, und gerade deshalb von zu Hause aus ausgeliehen werden kann. Das „eBook“ per „eAusleihe“, wie es die Stadtbibliothek nennt. Frau Friedel, die oft in die Stadtbibliothek geht, findet das etwas komisch, das merkt man ihr an. Zumal dieses Buch gar nicht zurückgegeben werden kann, wie sie es gewohnt ist, sondern nach sieben Tagen einfach von ihrem Computer verschwinden wird.
Sie sagt, sie habe mit Freundinnen diskutiert, „wozu man das braucht“. Sie sagt, sie könne sich nicht vorstellen, „dass irgendjemand einen Roman am Bildschirm lesen will“. Sie werde das jedenfalls nicht tun.
Weil sie jetzt aber so tun soll, als werde sie sich demnächst so manchen Gang zur Bibliothek sparen, klickt sie sich durch die digitale Bibliothek. Sie findet Arbeitsblätter, die sie gut gebrauchen kann, da sie mehreren Chinesen Deutsch-Nachhilfe gibt. Sie sucht in der Rubrik „Grusel“ nach Kinderbüchern und nach Kochbüchern, die sie sich ja eventuell auch mal digital ausleihen könnte. In der Sparte „Kochen&Backen“ findet sie, und das enttäuscht sie ein wenig, nur Jürgen von der Lippes Ratgeber, wie man Gäste bewirtet („Geben Sie richtig Gast“) als Hörbuch, gesprochen vom Autor selbst. Hörbücher hört sie gerne beim Puzzeln, dann aber ganz altertümlich per CD-Spieler und sicherlich nicht unbedingt Jürgen von der Lippe als Bewirtungsratgeber. Aber das ist ja auch erst ein Anfang, 6.000 Medien hält die Stadtbibliothek digital bereit, bis zum Jahresende sollen es mehr als 10.000 sein. Frau Friedel wird davon ab und zu Gebrauch machen, aber weiterhin zur Stadtbibliothek gehen. „Man will ja auch nicht nur vor dem PC sitzen“, sagt sie, die skeptische Revolutionärin. Felix Zimmermann