Ortstermin "Frühlingsfest der Volksmusik": Hossa in Halle
Seit sechs Jahren moderiert Florian Silbereisen das "Frühlingsfest der Volksmusik". Gerne wird über ihn gespottet - dabei ist er unglaublich erfolgreich.
Im Königreich der Volksmusik ist die Nähe zu den Fans das höchste Gut. Will man dieser Intimität zu irgendeinem Zeitpunkt entgehen, muss man sich schon eine überzeugende Ausrede einfallen lassen, so wie Florian Silbereisen am Samstagabend in Halle an der Saale. Draußen vor einer Toreinfahrt warten zwei Männer und eine Frau. Ihren Star haben sie erspäht, als er den Kopf für einen unachtsamen Moment aus dem Fenster im ersten Stock der Messehalle steckt. Die Frau ruft: "Flori, wir haben alles vorbereitet, nur ein Autogramm." Buch, Kamera und Stift werden ihm entgegen gestreckt. Es ist sieben Uhr, in einer Stunde wird er live das "Frühlingsfest der Volksmusik" moderieren, die Proben laufen schon seit dem Morgen, jetzt soll er also noch nach unten. In seiner Not ruft er seinen Fans zu: "Geht gerade nicht. Ich bin nackig". "Nackig ist er", kichert die Frau während Silbereisen wieder verschwindet.
In der Halle herrscht eine geschäftige Atmosphäre: ein bisschen Revue, ein bisschen LSD, ein bisschen Barock. Eine fünfzig Meter breite Bühne, einer Gartenlandschaft nachempfunden, inklusive Teehaus, Springbrunnen, Pavillon. In der Mitte eine riesige Plastiktorte, dreistöckig, drehbar, rosa, vielfältig einsetzbar. Während der Sendung wird der 27-jährige Silbereisen beinebaumelnd vom obersten Stockwerk moderieren, das Fernsehballet wird auf ihr tanzen.
Es ist eine Geburtstagstorte - die Sendung feiert ihr 15-jähriges Jubiläum. Erst von Carmen Nebel moderiert, seit 2003 von Silbereisen, vom MDR produziert und von Silbereisens Manager geschrieben. Ein Quotengarant, eine krisensichere Festung im Samstagabendprogramm der ARD, fünfmal im Jahr. An diesem Abend sehen 5,34 Millionen Zuschauer zu - und trotzdem wird das eines der schlechteren Quotenergebnisse sein, denn die letzten Shows sahen über 6 Millionen. Zwischen den Shows tingelt Silbereisen mit den Volksmusikstars durch die Mehrzweckhallen der Republik. Natürlich liefern die Kritiker Erklärungsversuche für den Erfolg, gerade in Zeiten der Globalisierung und der Krise sehnten sich die Arbeitslosen und die Rentner aus dem Osten nach einer heilen Welt.
Die Menschen wollen Unterhaltung und sie wollen ins Fernsehen. "Abermillionen werden Sie sehen", verspricht ein Moderator vor Sendebeginn, die Halle johlt, per Klatschtest werden die Fanclubs geortet: der Michael-Wendler-Fanclub sitzt vorne, die Helene-Fischer-Fans sind über die ganze Halle verteilt, und zum Flori-Club gehören ja eh alle, die hier sind, irgendwie. Man ist sich nah, nicht nur im übertragenen Sinne. Man sitzt in Plastikschalensitzen, beim Schunkeln berühren sich Arme und Oberschenkel. Noch vor Beginn der Sendung wird man darum aufgefordert, sich einander vorzustellen. Einer davon ist der Halbglatzenträger Herr Wagner, Vollprofi-Fan und Freizeitparkbesitzer. Er ist aus Österreich angereist und ärgert sich vor der Sendung, als der Anheizer einen Semino-Rossi-Hit mit dem Publikum einüben will. Er singt: "Rot, rot, rot, rot wie die Rosen." Herr Wagner korrigiert: "Rot sind die Rosen." Er sagt: "Wer ein Fan ist, weiß das." Der Moderator singt: "Wie", Herr Wagner singt: "sind", besonders laut und deutlich diesmal, wie, sind, wie, sind. Als der Moderator von der Bühne geht, sagt Herr Wagner siegessicher: "Später wird der Text ja auf den Monitoren eingeblendet."
Wird er dann auch tatsächlich, und Herr Wagner ist versöhnt, er sagt: "Eine Wahnsinnsstimme", die Glühlämpchensterne leuchten am Kulissenhimmel und Semino Rossi steht singend zwischen magentafarben angeleuchteten Säulen, schick wie immer, mit Anzug und Krawatte, ein Weltstar im Königreich der Volksmusik, unbekannt überall sonst. Heute ist er hier, weil sein Erfolg ohne die Volksmusikshows undenkbar wäre. Wenn man so will, sind die Feste der Volksmusik das erfolgreichere "Deutschland sucht den Superstar".
Nach dem Auftritt trägt eine Tänzerin eine gold gerahmte Auszeichnung herein, Silbereisen gratuliert Rossi zum Erfolg. Er gibt sich überrascht, hat aber nicht lange Zeit, sich zu freuen, denn zwei weitere Tänzerinnen kommen mit einer weiteren Auszeichnung im goldenen Rahmen: Doppelplatin. Rossi hat mehr als 2,5 Millionen CDs verkauft, mehrere Echos gewonnen, die Alben waren allesamt Charterfolge. Das Phänomen zieht sich durch das gesamte Volksmusikkönigreich: Später wird noch der Sänger einer schwedischen Band namens Vikinger auftreten. Die haben in Schweden mehr als 7 Millionen CDs verkauft - trotzdem kennt sie hier fast niemand. Im Gegensatz zu dem Moderator: Silbereisen ist ein Ausnahmetalent, er ist jung und hat Rentner als Fans. Er ist der Thomas Gottschalk der Schunkelmusik und muss den Ruhm mit der ständigen Nähe zu seinen Fans bezahlen. Denn die folgen ihm überall hin.
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