Ortskenntnis : „Man muss die kleinen Dinge suchen“
Wolfang Jarchow, 72, ist Professor für Grafik und Autor des Buches „Bremisches: Wo einer leicht überhin kuckt“.
taz: Herr Jarchow, welches Ausflugsziel empfehlen Sie daheim gebliebenen BremerInnen?
Wolfgang Jarchow, Grafikprofessor und Buchautor: Da gibt es einige Möglichkeiten. Zum Beispiel ein Spaziergang im Innenstadtbereich.
Da kennt man doch schon alles.
Nicht unbedingt. Man muss nur die Dinge im Kleinen suchen, dann entdeckt man auch wohlbekannte Orte und Bauten wieder neu.
Wie zum Beispiel?
Da gibt es im Dom eine versteckte Maus, in Stein gemeißelt. Oder schauen Sie sich das Gewerbehaus einmal genau an. Dort finden Sie an den Säulen muschelförmige Abdeckungen aus Sandstein. Das sind „Schürzen“, die im frühen 17. Jahrhundert einen ganz praktischen Grund hatten. Damals war es üblich, in die Ecken und an die Häuserwände zu pinkeln. Tat man das am Gewerbehaus, landete der Urin nicht nur auf dem Stein, sondern auch auf der Hose.
Und wenn man lieber an der Weser spazieren geht?
Da gibt es an der Schlachte, am Ulenstein einen Ursprungsdurchgang zum Hafen, den man gerne übersieht. Der hat ein kleines Tor, das diesen Weg damals verschließen konnte – wahrscheinlich aus zollspezifischen Gründen.
Was schauen Sie sich denn am liebsten an?
Wenn wir an der Weser bleiben, finde ich die Arkaden östlich der Wilhelm-Kaisen-Brücke an der Uferpromenade schon beeindruckend. Diese mächtige Konstruktion diente eigentlich als Fundament für Zollgebäude, die im Krieg zerstört und nicht wieder aufgebaut wurden. Ihrer ursprünglichen Funktion beraubt steht sie so da und ist sinnentleert gewaltig. Eben ein kolossales Denkmal aus vergangenen Zeiten.
Interview: Chris Ruschin