■ Orte bleiben immer die gleichen, nur ihre Namen wechseln zuweilen: Weltzeit, frisch restauriert
Als auf dem Berliner Alexanderplatz die noch zu weiland DDR-Zeiten installierte Weltzeituhr nun frisch restauriert der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hagelte es Proteste. Der Grund: Die Generalüberholung hatte sich auch auf die darauf befindlichen Ortsbezeichnungen ausgedehnt, und wo vormals politisch korrekt Bratislava stand, war jetzt in einwandfreiem Deutsch Preßburg zu lesen. Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte sagte nach dem Bericht einiger Medien: „Als Slawist kenne ich die Empfindlichkeit dieser Leute.“ Gemeint sind sicher die Slawen. Damit meinte er wohl auch mich (geneigter Leser, beachte bitte meinen Namen). Ich soll – so stelle ich es mir vor – bei Diskussionen über den bekannten mährischen Landsmann Schindler einen gesteigerten Wert darauf legen, daß mir wohlmeinende und rücksichtsvolle Deutsche die Brille vollspucken, wenn sie versuchen, Moravská Trebová auszusprechen. Mährisch Trübau zu sagen wäre dagegen eine mangelhafte Rücksicht auf uns, die empfindlichen Sensibelchen.
Die lieben Deutschen sagen dann auch noch: Jetzt heißt das Moravská (Hand vor der Brille) Trebová. Da werde ich aber doch empfindlich: Immer hieß es so, genauso, wie es auf deutsch Mährisch Trübau heißt. Immer hieß Breslau auf polnisch Wroclaw und auf tschechisch V(W)ratislav, nach einem Fürsten – nicht umsonst ist die Stadt voll historischer Wappen mit einem W (in der Tagesschau müßte man „B. ehemals W.“ sagen). Wie schön wäre es, wenn die diversen Leutchen in Mitteleuropa dies alles genießen würden? „Meine Stadt ist so bedeutend, daß die Namensvarianten in den Nachbarsprachen schon vor Jahrhunderten abgeleitet wurden und seither dort als Sprachbestandteil geblieben sind und kultiviert werden.“
Wie schön wäre es auch, wenn jedermann nachlesen und verinnerlichen würde, daß die Verwendung des vermeintlich einzig richtigen Namens immer von totalitären Patronen angeordnet wurde: Die Nazis haben in der Lausitz die sorbischen Varianten nicht gemocht, im Protektorat wollten sie den Tschechen nicht einmal in den Zeitungen Mnichov, Drážd'any und Videň lassen (München, Dresden und Wien), später wieder waren es Ulbricht & Co, die Aussig nicht zulassen wollten. Nach diesem Modell würde man die Bezeichnung Florenz meiden (wie empfindlich sind erst die Italiener!), in der Stadt Firenze den Firenzanern begegnen und keine Sekunde darüber nachdenken, warum in Firenze die Fiorentini leben. War da nicht am Anfang Latein, oder so etwas?
Was also tun? Eines ist klar: Wenn jemand bei einigen zehn Ortsbezeichnungen mehrere Varianten speichern muß, ist das kein elitärer Bildungsanspruch. Es hilft nur der Verständlichkeit der Geschichte und der Verständigung der Nachbarn. Das haben die Florentiner schon lange bewiesen. Und die Chemnitzer sollten ruhig wissen, daß ihre Stadt auf tschechisch seit Jahrhunderten Saská Kamenice heißt.
In der zweiten Reihe entscheiden jedoch praktische Kriterien. Wenn im besagten Chemnitz türkische Fernfahrer im Kreis fahren, weil sie in ihren Europa-Karten Üsti nad Labem haben, auf den Schildern jedoch nur Aussig, ist die zuständige Behörde nicht anders als trottelig zu bezeichnen (abgemildert vielleicht ideologisch?).
Wenn auf dem Alexanderplatz die Weltzeituhr restauriert wird, ist es genauso trottelig, beim Restaurieren etwas zu ändern. Auch wenn man meint, doch ab und zu die SED-Borniertheit sanft korrigieren zu müssen: Preßburg soll Bratislava ersetzen. Was soll die Nachwelt über die jetzigen Regierenden denken, wenn sie das nötig haben? Doch die beste Methode zu beweisen, daß die Hauptstadt der Slowakei nicht Rom oder Florenz ist, ist zu protestieren, nicht gegen die mangelhafte Objekttreue der Restauratoren, sondern gegen die Bezeichnung Preßburg für die Stadt, die ungarisch (lieber würde ich magyarisch schreiben, um nur auf eine der Sprachen des alten Königreiches Ungarn hinzuweisen) Poszony heißt und slowakisch Bratislava. Vieles, was man über den Ruhm dieser alten und schönen Stadt nachlesen kann, ist unter den ersten beiden Namen zu finden. Wenn man sich konsequent auf die „Offizialität“ derjenigen einstellt, die mit „Empfindlichkeit“ auf Offenheit reagieren, weiß man bald viele Sachen nicht mehr. Eine Preisfrage für die Deutschen: Wo liegt z.B. Miśeň, und wo Miśnia? Jaroslav Šonka
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