Wahlkampf 98: Einzelbewerber: „Organisiert Feste und liebt euch!“
■ Zehn Einzelbewerber wollen als unabhängige Kandidaten in den Bundestag: Die 27jährige Schauspielerin Giuliana Middelhoff will mit ihrem Politikdebüt den Menschen Mut machen
Bis vor kurzem hatte Giuliana Middelhoff mit Politik überhaupt nichts am Hut. Auch Berlin kannte sie nur von Besuchen. Doch als sie im Frühjahr von München nach Berlin zog und mitten hinein in Schlingensiefs Wahlkampfzirkus geriet, war es um sie geschehen. „Anfangs habe ich das als Theaterstück gesehen“, sagt die 27jährige Schauspielerin. Dann sei es irgendwann „eine logische Konsequenz“ gewesen, selbst zu kandidieren. Auch da war es anfangs wie Theater. Die Sammlung der 200 Unterstützerunterschriften in ihrem Wahlkreis Prenzlauer Berg/Mitte hat sie als „theatralen Akt“ empfunden. „Ich spielte die Rolle der Politikerin“, sagt die Halbitalienerin. Durch die vielen Gespräche auf der Straße habe sie sich das erste Mal wirklich mit Politik beschäftigt. Das ging so weit, daß sie eine zeitlang dachte, sie müßte jetzt einer Partei beitreten. Die einzige, in der sie sich halbwegs wiederfindet, ist die PDS.
Doch nach dem enttäuschenden Besuch einer Wahlveranstaltung ließ sie diesen Gedanken wieder fallen und besann sich auf ihre Anfangsinspiration durch „Chance 2000“: den Menschen Mut zu machen. „Es ist am wichtigsten, auf die Leute zuzugehen“, sagt sie.
Giuliana Middelhoff ist überzeugt, auch als Alleinkämpferin etwas erreichen zu können. Angst vor einem Scheitern hat sie nicht. Sie will „positive Zukunftsvisionen“ aufzeigen, insbesondere den Arbeitslosen. Es sei keine Schande, arbeitslos zu sein, sagt sie, „sondern eine großartige Chance“. Jeder könne tun, was er schon immer tun wollte: schreiben, malen, basteln, nähen, gärtnern oder kochen. Lebensgrundlage soll eine „ausreichende Grundversorung für alle“ sein. Die Schauspielerin, die einer Künstlergruppe vom Videokino „Aufbruch“ in Prenzlauer Berg angehört, weiß, daß in jedem Menschen etwas „zum Aufblühen“ schlummert. Deshalb ruft sie den Wählern in ihren Flugblättern zu: „Entdeckt das fliegende Kind in euch! Genießt euer Leben! Werdet aktiv! Organisiert Feste! Liebt euch!“
Giuliana Middelhoff wirkt wie eine Märchenprinzessin, die von unsichtbarer Kraft auf die politische Bühne gehoben wurde. Die Schauspielerin benutzt ganz bewußt die Parallelen zwischen Theater und Politik. „Ich will mit der Politik nichts anderes als mit dem Theater auch“, sagt sie. Sie will die Menschen erreichen. Statt hohlen Versprechen bietet sie „Optimismus und Lebenskraft“.
Giuliana Middelhoff ist getrieben von dem Glauben an das Gute im Menschen. Wie die meisten Einzelkandidaten glaubt sie nicht wirklich an einen Einzug in den Bundestag. „Doch wenn es so sein sollte“, sagt sie mit großen Augen, „wäre ich dem gewachsen.“ Doch das ist gar nicht entscheidend. Viel wichtiger ist es ihr, ihrem italienischen Vater zu beweisen, daß jede Sache einen Versuch wert ist, daß es kein Versagen gibt. „Bei meinem Vater habe ich hautnah mitbekommen, wie jemand weit unter seinen Möglichkeiten geblieben ist“, sagt sie. Das soll anderen erspart werden. Barbara Bollwahn
wird fortgesetzt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen