: Opponieren oder mitregieren
Auf dem Bundesparteitag der PDS wird viel beschlossen und nichts entschieden. Das Thema Regierungsbeteiligung bleibt erst mal außen vor ■ Aus Magdeburg Christof Seils
„Die PDS verkennt daß Wirtschafts- und Sozialpolitik eng miteinander verbunden sind.“ Genüßlich zitiert Lothar Bisky aus der Dokumentation 37/1995, in der die CDU den demokratischen Sozialisten ausgerechnet die Lieblingsfloskel von Günter Mittag und Erich Honecker ans Herz legte. Da lacht das GenossInnenherz, selten sind sich die Delegierten des PDS- Parteitages so einig. Nur dieses eine Mal kann der Bundesvorsitzende die Delegierten aus ihrer Lethargie reißen. Normalität soll in die PDS einziehen, dies hatte sich die Partei für ihren Magedburger Parteitag auf die Fahnen geschrieben. Normalität heißt für die PDS zunächst Langeweile. Richtungsentscheidungen stehen nicht an, Regierungsbeteiligungen nicht auf der Tagesordnung. Die GenossInnen sind des Streitens müde.
Zu einem ordentlichen Parteitag gehört ein Leitantrag. Bei der PDS sind es zwei, einer zu den politischen Aufgaben bis 1998, der andere zur Kommunalpolitik. Die GenossInnen haben einiges nachzuholen. Zunächst allerdings steht die Generaldebatte an. Roland Claus hat das Tabu gebrochen, will in Sachsen-Anhalt mitregieren und muß sich nun von den Hoyers, Marquardts und Wagenknechts die Leviten lesen lassen. Sarah Wagenknecht, die auf dem Parteitag mehr JournalistInnen als AnhängerInnen in ihren Bann zieht, warnt, die PDS dürfe nicht ihre Fähigkeit verlieren, „das Kapitalsystem in Frage zu stellen“.
Doch der Beifall ist dünner als gewohnt. Einige Delegierte frohlocken bereits angesichts dieser Niederlage der kommunistischen Plattform, andere wollen am Ende der Generaldebatte sogar wissen, daß jetzt wirklich alle verbliebenen KommunistInnen der PDS das Wort ergriffen haben.
Hohe Gäste kann der Parteitag begrüßen, ihr einziges Thema: Der Vorstand von Roland Claus. Der Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Sachsen- Anhalt, Jürgen Weißbach, fordert SPD, Bündnisgrüne und PDS auf, aufeinander zuzugehen, um eine „starke Regierung“ zu bilden. Der sozialdemokratische Kultusminister Karl-Heinz Reck kann sich aufgrund der Erfahrungen mit dem Magdeburger Modell eine „vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit“ mit der PDS eher vorstellen“ als mit der CDU. Die Debatte ist eröffnet.
Lothar Bisky allerdings läßt in seinem Grundsatzreferat alles offen. Opponieren, Tolerieren, Mitregieren, dies sei derzeit keine Frage. „Beschlüsse auf Vorrat“ zu fassen, davon rät Bisky den Delegierten ab. Langsam will er seine Partei an den Gedanken gewöhnen, über Regierungsbeteiligungen nachzudenken. Er plädiert für eine „illusionslose Analyse“. Dafür habe die PDS jetzt mehr als zwei Jahre Zeit. Das Wort „sondieren“, so ist zu erfahren, hat er aus seinem Manuskript wieder gestrichen. Das bald ein PDS-Parteitag auch über das Ergebnis von Sondierungsgesprächen oder sogar Koalitionsverhandlungen zu befinden hat, wird er seinem Parteivolk also bei einer anderen Gelegenheit erklären.
Die Rollen sind verteilt. Die Ideologien wollen sich in der Generaldebatte austoben, und während sie ihre mit viel Liebe ausgearbeiteten Manuskripte vortragen, steht der Tabubrecher Roland Claus am Ausgang und blickt zufrieden in die Delegiertenrunde.
Anschließend sind die Programmexegeten an der Reihe. Sofortiger Ausstieg aus der Atomenergie, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Absage an alle Blauhelmmissionen; jedes dieser Themen ist auch in der PDS umstritten und wäre einen eigenen Parteitag wert. Die Delegierten klären diese Fragen im Minutentakt: Rede, Gegenrede, die Stimmkarten bitte.
Die Partei hat sich viel vorgenommen, mit drei Kampagnen zur Massenarbeitslosigkeit und sozialen Grundsicherung, zur Demokratisierung der Kommunen und zur Friedenspolitik will sich die PDS, so Lothar Bisky, bis zu den Bundestagswahlen 1998 ein „bundesweit erkennbares sozialistisches Profil“ geben. Diese Botschaft hätte man zwar auch auf einer Din-A-4-Seite zusammenfassen können, doch dann hätte der Parteitag am ersten Tag ja gar nichts zu tun gehabt.
Noch sind Konferenzen, die die Welt verändern, die schärfsten Waffen der PDS, höhnt Roland Claus. Wenn die PDS einen wirklichen Reformaufbruch wolle, dann könnten Parteitagsbeschlüsse „nicht mehr auf Hintergrund ihrer Folgenlosigkeit gefaßt werden“, versucht Claus den Delegierten zu vermitteln. Doch soweit sind diese noch nicht.
Am Sonntag sind schließlich die Pragmatiker dran. Kommunalpolitik steht auf der Tagesordnung. Altschulden, Abwassergebühren, Kita-Schließungen; es gibt viel zu berichten aus den Kommunen von Saßnitz bis Apolda. Doch dürfen die PDS-KommunalpolitikerInnen, wie die AG Junge Genossinnen kritisiert, die Sachzwänge der kapitalistischen Gesellschaft akzeptieren? Wie gut, daß der Parteitag feststellt, daß es „scheinbare“ und „wirkliche“ Sachzwänge gibt.
Doch wo sind all die Konflikte geblieben, die die Entwicklung der demokratischen Sozialisten seit fast sechs Jahren begleitet und manchen PDS-Parteitag an den Rand des Scheiterns geführt haben. „Irgendwann werden wir den Bruch mit den Ideologen herbeiführen müssen“, ist im Lager der ReformerInnen zu hören. Auf dem nächsten Parteitag wird es sicherlich nicht wieder so harmonisch zugehen. Immerhin stehen im kommenden Jahr wieder Vorstandswahlen an. Außerdem müssen dann die Bundestagswahlen 1998 vorbereitet werden.
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