Open Data in der Medizin: Der öffentliche Krebs
Ein italienischer Künstler, Akademiker und Aktivist hat die Daten über seinen Gehirnumor ins Internet gestellt. Er hofft auf Hilfe.
Salvatore Iaconesi ist 39 Jahre alt und erfuhr kürzlich, dass er einen Gehirntumor hat. Doch anstatt nun zu verzweifeln, hat er beschlossen, die Daten über seine Gesundheit ins Internet zu stellen.
„Die Idee kam mir aus ganz praktischen Erwägungen“, sagt Iaconesi, Künstler und Dozent für Technologie an der Universität La Sapienza in Rom. „Als ich ins Krankenhaus ging, um mein digitales Krankenblatt abzuholen, entdeckte ich, dass es sich um proprietäre Software handelte.
Ich konnte es mit meinem Computer nicht öffnen, es deswegen nicht im Internet frei zur Verfügung stellen – obwohl es da draußen vielleicht Menschen gibt, die mir das Leben retten können“, sagt Iaconesi. Dann habe er die Dateien gecrackt, „um sie mit so vielen Menschen wie möglich im Internet zu teilen“. Die dazugehörige Website heißt „The Cure“ und beschränkt sich auf drei klare Aussagen: „Ein Gehirntumor. Sehr persönliche Open Data. Eine Chance.“
„Die Krankenhäuser“, sagt Iaconesi, „sind auch unfreiwillige Opfer: Du fragst nach deinem digitalen Krankenblatt, bezahlst 30 Euro und am Ende bekommen du eine CD mit geschlossen Dateien. Die einzige Möglichkeit, um diese Dateien zu sehen, ist ein ’Proprietary-Viewer‘. Aber so verliert man den Vorteil der Digitaltechnik, die Dateien, die von vielen Spezialisten genutzt werden können, zu teilen. Heute habe ich die Dateien über meinen Gehirntumor schon mit drei Ärzten geteilt, und zwei haben geantwortet. Das ging nur, weil die Dateien offen waren.“
Das Konzept ist einfach: Offene Dateien können von vielen Spezialisten eingesehen und mit weiteren Informationen abgeglichen werden. Sie ermöglichen der medizinische Forschung, die Sperren der Pharmaindustrie zu überwinden. Sie ermöglichen der Medizin, Leben zu retten – anstatt ein Business-Tool zu sein.
„Nach und nach werde ich alle Antworten auf der Website veröffentlichen“, sagt Salvatore, „so dass jeder mit dergleichen Krankheit die Lösungen, die ich gefunden habe, nutzen kann.“ Der Aufruf von Iaconesi wendet sich nicht nur an Ärzte, sondern auch an Künstler, Designer, Schriftsteller, Musiker – eben an alle, die einen Beitrag zu seiner Heilung leisten können: Denn wer einen Tumor hat, braucht Medizin für den Körper – aber auch für den Geist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich