Open Air: Ein einziger blutiger Spaß
Die Freiluftsaison ist eröffnet: Molière geht gut im Freien, und ohne Shakespeare kann man sich das Sommertheater gar nicht denken.
Freiluftbühnen sind der Albtraum aller Wortkünstler. Zumindest derer, die nur Geschichten vorlesen auf der Bühne, wie die Autorin dieses Textes. Ständig werden die Zuschauer abgelenkt. Von Vögeln, Flugzeugen, umherlaufenden Kindern und Hunden, die Sonne blendet, der Wind übertönt das Bühnengeschehen und die mitgebrachten Wurstbrote und frisch gezapften Biere aus dem Biergarten geben der Aufführung den Rest. Zuschauer denken: „Geil! Open Air. Ich möchte den ganzen Sommer draußen sein!“
Vorleser denken: „Scheiße, Open Air! Kann ich nur Ficktexte machen und keiner länger als eine Seite.“ Denn Derbes geht immer, Komisches auch. Bloß nicht zu kompliziert! Umso neugieriger beobachtete die Autorin die beiden Eröffnungspremieren der diesjährigen Sommertheatersaison des Hexenkessel Hoftheaters und der Shakespeare Company Berlin.
Denn die wissen, wie es geht. Beide Ensembles haben sich der Tradition des Volkstheaters verschrieben, und das leitet sich bekanntlich her aus Fastnachtsspielen und Jahrmarktbühnen. Und die fanden seit je unter freiem Himmel statt.
Extraapplaus für die Sonne
Den Anfang machte Anfang Juni das Hexenkessel Hoftheater mit „Amphitryon“ nach Molière im Amphitheater im Monbijoupark. Pünktlich zur Premiere der Verwechslungskomödie zwischen Göttern und Menschen, Herren und Dienern, hörte der wochenlange Dauerregen auf. Die Sonne bekam einen Extraapplaus. Unter der Regie Sarah Kohrs’ (Textbearbeitung: Carsten Golbeck) entfaltet die Geschichte um Ehebruch und Vetternwirtschaft vom Olymp bis in den Knechtstand ihre ganze burleske und slapstickhafte Komik. Mitunter wird tief in die Wortspielkiste gegriffen, während man der alten Frage nachgeht: Wer bin ich und wenn ja wie viele?
Bei der Premiere war der hölzerne Rundbau gegenüber vom Bode-Museum bis auf den letzten Platz besetzt. Die Darsteller bespielten die Bühne von allen Seiten: Milton Welsh als großmäuliger Glam-Rock-Jupiter von oben drüber, Vlad Chiriac als geprügelter Knecht Sosias aus dem Publikum heraus. Roger Jahnke zertrat als wütender Merkur sogar die Bühne. Das war nicht geplant, man konnte es merken am überraschten Lachanfall der Techniker hinterm Regiepult. Die ganze Inszenierung ist ein einziger großer Spaß.
Die Shakespeare Company Berlin eröffnete vergangene Woche ihre Freiluftbühne im Natur-Park im Schöneberger Südgelände, direkt am S Bahnhof Priesterweg, dieses Jahr mit einem der blutigsten Stücke des Meisters: „Macbeth“.
Nach gut zwei Stunden eindringlichen Spiels sind die Bühnenbretter vom Theaterblut rot gefärbt. Die Inszenierung von Uwe Cramer rehabilitiert vor allem die traditionell bösen Frauenfiguren wie die intrigante Lady Macbeth und die schicksalhaften Schwestern. In unspezifischen Uniformen mit maskenhaft bleich geschminkten Gesichtern zerfleischen sich die Figuren im Blutrausch auf der Bühne gegenseitig. Mitunter begleiten sie sich dabei gegenseitig mit der Musik von Henry Mex auf Geigen, Xylofonen, Trompeten oder Kontrabass. Auch bei der Shakespeare Company treten einige Schauspieler aus dem Publikum heraus auf – als komisches Element spricht Erik Studte Teile seines Textes in thüringischem Dialekt. Dialekt geht zwar immer, hätte aber nicht sein müssen.
Die Natur spielt auch mit: Anfangs zwitschern im Natur-Park noch Singvögel laut dazwischen. Auf dem Höhepunkt des von Shakespeare angerichteten Mordkomplotts werden sie plötzlich von einem Schwarm Krähen verjagt, die sich auf den Bäumen um die Bühne niederlassen und den ungeplanten, aber äußerst passenden Soundtrack geben, während die Spieler sich in ständigen Rollenwechseln mit literweise Kunstblut bespritzen, mit gespitzten Lippenstiften die Kehlen durchschneiden und die schuldigen Hände in Eimer mit roter Farbe tunken.
Der „Amphitryon“ passt für die Freiluftbühne wie Würstchen auf den Grill. Die Schauspieler wuseln über die zweigeschossige Bühne, es raucht und knallt, die finale Selbstenthüllung Jupiters mit Zigarre im Mundwinkel ist schon das Eintrittsgeld wert.
Beim „Macbeth“ am Priesterweg verwirren die vielen Rollenwechsel ein wenig. Benjamin Plath spielt den Macbeth nahe am Hamlet, Elisabeth Milarch vollendet als seine Lady, was der Mann nicht fertig bringt. Beeindruckend auch hier das Schlussbild: Ein Berg aus Leichen, aus dem immer wieder einer über die Leichen nach oben klettert, dort, auf dem Gipfel der Macht eine berühmte Rede zitiert, von Richard III. über Julius Cäsar bis zum Ehrenwort von Helmut Kohl, bis ihm der nächste Emporkömmling die Kehle durch- und damit das Wort abschneidet.
Zwei Barockstücke um Macht und Verrat haben die Freilufttheatersaison eröffnet. Am Schluss der Komödie ist eine schwanger, am Ende der Tragödie sind alle tot. Aber beides hat funktioniert.