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Onlinetagebuch einer PariserinObdachlose, Mutter, Bloggerin

Die Pariserin Julie Lacoste hat keine Wohnung, aber ein Blog. Darin beschreibt sie ihren Alltag: Mit zwei Kindern, einem Job und der Suche nach einer Bleibe.

Schlicht, aber beeindruckend: Seit sieben Monaten erzählt Lacoste aus ihrem prekären Alltag im Internet. Bild: screenshot http://untempsderetard.blogspot.com

„Diese Woche ist es mir gelungen, eine 20 Quadratmeter große Wohnung für ein paar Tage ausfindig zu machen. Ich habe die Kinder auf der ausziehbaren Schlafcouch untergebracht und mir eine Luftmatratze gekauft, die ich immer mit mir tragen kann“, schreibt Julie Lacoste am 7. September 2008 in ihrem Blog.

Bis dahin hatte niemand von Julie gehört. Von ihrem Bruder ermutigt, der ihr einen Laptop geschenkt hatte, beschließt die junge Mutter zweier Jungen einen Blog anzulegen: "Damit jeder verstehen kann, was das konkret bedeutet, heute in Paris obdachlos zu sein", erklärt sie in ihrem ersten Eintrag.

Seit sie vor einem Jahr eine schimmelige Wohnung im Norden von Paris verlassen hat, sind alle Sachen von Julie und ihren beiden Kindern, Jules und Orphée, in den Kellern von Freunden untergebracht. Möbel, Geschirr, Kleider, Bücher, Spielzeuge - alles ist dort verstaut.

Das Trio zieht derweil von einer Wohnung zur nächsten. Ohne festen Wohnsitz übernachtet die 31-Jährige mit ihren zwei- und sechsjährigen Söhnen bei jenen, die sie aufnehmen wollen. Eine Woche hier, zwei Wochen dort... Die kleine Familie wandert auf diese Weise quer durch Paris.

Die Drei wohnen bei Freunden, Freunden von Freunden und manchmal auch bei Unbekannten, die von ihrer Situation im Blog erfahren haben und ihnen helfen wollen. Wenn möglich, nicht zu weit weg von der Schule und der Krippe im 18. Arrondissement.

Bis jetzt ist es Julie noch immer gelungen, ihrer Familie die städtischen Notunterkünfte zu ersparen. Während Jules in der Schule lernt und Orphée in der Krippe weilt, nutzt sie die Zeit, um die Rucksäcke voller Kleider und Spielzeuge von einem Wohnsitz zum anderen zu schleppen, meistens zu Fuß oder mit der Metro, manchmal sogar mit einem Auto - natürlich nur geliehen.

Sie hat eine Anstellung in der Bibliothek der Jura-Universität in einem südlichen Pariser Vorort, wo sie 26 Stunden pro Woche arbeitet. Dort verdient sie 750 Euro netto pro Monat. Zu wenig, um eine Wohnung in der Hauptstadt zu finden, die für ihre teuren Mieten bekannt ist. „Da ich allein erziehend bin und halbtags arbeite, wollen die Vermieter kein Risiko eingehen“, erklärt sie am 6. September.

Jedes Mal, wenn es geht, meist in der Mittagspause der Bibliothek, schaltet Julie ihren Computer ein, den sie immer in ihrem Rucksack mitschleppt und erzählt ohne Pathos ihren Kampf, um ein Dach über den Kopf zu finden. Manchmal optimistisch, wenn sie Antworten und aufmunternde Angebote erhält, oft müde und deprimiert: „Diese Situation macht mich kaputt. Ich bin total erschöpft, ich kann nicht mehr richtig schlafen, werde immer ungeselliger und habe nicht mehr die Kraft zu unternehmen, was ich unternehmen müsste“, schreibt sie am 6. März 2009.

Julie versucht, ihre Kinder weitgehend zu schonen: „Ich tue alles, damit Jules und Orphée so wenig wie möglich unsere Lage zu spüren bekommen“, liest man am 25. September 2008. Sie bekommen genug zu essen, sind gut angezogen und tragen immer ein paar Spielsachen mit sich, und am Wochenende machen wir etwas, was uns Spaß macht: Museum, Park, Picknick mit Freunden, irgendeine Vorstellung…“. Aber wenngleich die Kinder sich schnell umgewöhnen und überall neue Freunde finden, so stört die unstabile Lage ihren Schlaf und die Konzentrationskraft in der Schule.

Man würde auf Julies Blog vergeblich ihr Geburtsdatum, ihre neuesten Küchenrezepte oder Ferienfotos suchen. Julie ist scheu und es fällt ihr schwer, ihr alltägliches Leben so der Öffentlichkeit preiszugeben. Dieses „Gefühl, die Situation nicht mehr zu meistern, der Gedanke, dass jedermann Einblick in einen Teil (ihres) Lebens haben kann“ war ihr anfangs unangenehm. Doch sie beschloss, sich nicht zu schämen und so viel wie möglich über ihre Situation zu berichten. Wer weiß, vielleicht würde ihr jemand helfen.

Am 15. November 2008 veröffentlicht die große Tageszeitung Le Monde, die ihrerseits von einer Frau aus Angola auf Julies Blog aufmerksam gemacht worden war, eine lange Reportage mit dem Titel „Ich, Julie, obdachlose Mutter und Bloggerin“. Von da ab stieg die Zahl ihrer Leser sprunghaft an. „Ich habe auch viele andere Anfragen der Presse, von Radio und Fernsehen erhalten“, schreibt sie am 30. November.

"Im Moment antworte ich lieber nicht. Mein vorderstes Ziel ist es, eine Wohnung zu finden und mich um meine Kinder zu kümmern (…) Manche möchten aus mir die Anführerin all derer machen, die schlecht untergebracht sind. Aber ich sehe mich überhaupt nicht in dieser Rolle, ich habe nicht das Zeug zu einem Sprachrohr, das passt gar nicht zu mir.“

Doch inzwischen ist sich Julie wirklich bewusst geworden, dass sie nicht alleine ist in diesem Kampf. Auslöser war eine Demonstration gegen die Wohnungskrise in Frankreich. „Ich kannte niemand am Anfang“, schreibt sie am 30. Oktober, „ich war da, lief mit, beobachtete alles in der Stille. Dann begannen die Parolen, mich mitzureißen, das Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören, machte sich allmählich breit, sowie der Abscheu gegenüber der Spekulation, und so habe ich schließlich mitgeschrien, unterstützt von Jules, der aus Leibeskräften mitmachte.“

Die Wohnungsnot trifft heute in Frankreich einen immer größeren Teil der Bevölkerung, und jemand wie Julie, zugleich Lohnempfängerin und ohne festen Wohnsitz, ist nicht selten. Viele wundern sich darüber, dass Julie gut gekleidet ist, sich parfümiert und freundlich lächelt. „Ich bin eine Obdachlose, aber keine Pennerin“ sagt sie im September 2008 zu ihrer Verteidigung.

Trotzdem weiß Julie, dass der Graben zwischen beiden nicht tief ist. “Ich habe Angst, dass meine Situation sich in die Länge zieht, dass ich versumpfe, habe Angst vor der Ungewissheit. Obwohl ich schon mit einem Fuß drinstecke, kann ich es noch immer nicht akzeptieren, ich schließe die Augen und halte den Kopf hoch. Aber wie lange noch?“

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7 Kommentare

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  • N
    Nameistdochegal

    @ Armin Krauß:

    Bitte sei nicht persönlich beleidigt wegen dem was ich jetzt schreibe. Ich unterstelle Dir nicht, so zu denken:

     

    Ich kann es mir ja soo einfach machen. Ist in irgendeiner Sache mein persönliches Engagement gefragt habe ich mindestens vier "gute" Gründe die Mitarbeit zu verweigern:

    1. Anderen geht es noch viel schlechter.

    2. Es hilft doch nur einer Person, nicht allen Menschen in dieser Lage.

    3. Es muss sich doch der Staat / die Gesellschaft darum kümmern.

    4. Ich mache doch schon etwas anderes "nützliches" als Ehrenamt.

    Diese Argumente sind sehr bequem, da sie (bis auf evt. 4.) nicht zu widerlegen sind.

    Aber sind sie auch zutreffend?

     

    Den Menschen, dem es noch viel schlechter geht (siehe 1.) muss ich ja nicht suchen. Es reicht für mein Gewissen, dass es ihn irgendwo geben muss. Also wenn der dann um meine Hilfe bittet bin ich selbstverständlich sofort bereit, alles mögliche zu tun...ect. ect. ect.

    "Allen" (siehe 2.) kann ich als Einzelner oder in einer kleinen Gruppe nicht helfen. Sich die eigene Hilflosigkeit zur Lösung einzureden beruhigt ungemein. Warum etwas tun wenn ich mir schon vorher einrede, dass es eigentlich nichts bringt?

    zu 3. Ach ja, wenn ich auch sonst auf den "Sch...staat" schimpfe so hat der sich im Bedarfsfall gefälligt um alles zu kümmern. Geschieht das im Einzelfall nicht, so ist das ja ein weiterer Beweis dafür dass es eben ein "Sch...staat" ist. Ist ja auch logisch, oder? (SCNR) Der Staat ersetzt nicht die Gesellschaft. In manchen Fällen ist eben die Hilfe der Gesellschaft gefragt und nicht das Warten auf den Staat.

     

    Es ist keiner dazu genötigt, in diesem einzelnen Fall tätig zu werden. Aber solche Pseudo-rationellen Argumente kann ich nicht anerkennen.

     

    Ein einfaches Schweigen oder "Nee, keine Lust" reicht doch auch. Das beruhigt aber das Gewissen nicht so fein wie oben genannte "Argumente", gell?

  • AK
    Armin Krauß

    Es ist nett, dass sich hier Spenden für die arme Frau organisieren.

    Dennoch bin ich nicht sicher ob es richtig ist. Es hilft einer Frau

    und löst nicht das Problem.

    Ich denke hier ist der Staat gefragt das Problem für viele

    Menschen zu lösen.

  • R
    Radi

    @Nameistdochegal:

     

    Sag ich ja. 10-20€ pro Monat für die Miete könnte ich auch noch aufbringen (email-Adresse ist der Red. bekannt). Macht was, taz.

     

    Auf Dauer kann das zwar keine Lösung sein, unsere paar Kröten für überteuerte Miete zu spenden, aber das kann man später sehen, die Familie wäre erst mal von der Straße.

  • N
    Nameistdochegal

    Nette Kommentare, aber was helfen die denn?

    Kommt schon, die meisten der Leser haben es doch gut. Eigenes Wohnung, ausreichendes Einkommen, Zukunftsperspektiven.....

    Oder zumindest ein (noch) funktionierendes soziales Netz das sie im Bedarfsfall auffängt.

    Ich bewundere diese Frau auch wenn das das Letzte ist was sie will.

    Wie wäre es denn, wenn sich jemand (vielleicht die Taz) um eine Wohnung für sie bemüht.

    Da ich selbst solche Probleme nie hatte und warscheinlich nie haben werden beteilige ich mich mit 30-50€ pro Monat an der Miete (email-Adresse ist der Red. bekannt).

    Wenn nur einige von Euch mitmachen kriegen wir das zusammen hin. Wäre doch mal was anderes als immer nur kluge Reden zu schwingen.

  • R
    Radi

    Ich halte so was nicht aus. Wenn viele Leute nur ein paar Euro im Monat geben, wäre der Frau doch erstmal geholfen, oder? Was kann man da machen, taz?

  • W
    wespe

    Das ist der Alltag, die Wirklichkeit.

    Menschen leiden. Presse, Radio, Fernsehen stürzen sich sensationslüstern darauf. Wollen Einschaltquoten, Leser, Käufer.

    Aber dem leidenden Menschen wird nicht geholfen.

    Erbärmlich!

  • V
    vic

    Bon chance Julie, de tout cœur.

    vic