Onlinemagazin von trans Frauen: Ein Gegenschlag
Trans Menschen sind in Redaktionen selten zu finden. Nun haben sechs Frauen das erste transfeministische Onlinemedium Frankreichs gegründet.
Als erstes transfeministisches Medium in Frankreich werde XY Média eine Lücke in der Medienlandschaft schließen, hofft Mitgründerin Carol Sibony. „Es wird viel über uns geschrieben, aber in den Redaktionen sitzen keine trans Personen“, sagt sie.
Häufig fehlt die Perspektive von trans Personen in der Berichterstattung. Lebenswelten außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit kommen nicht vor. Außerdem sind cis Journalist:innen oft über Transgeschlechtlichkeit schlecht informiert. Immer wieder wird trans Personen in Texten das falsche Geschlecht zugewiesen oder die Geschlechtsangleichung wird fälschlicherweise als „Geschlechtsumwandlung“ beschrieben. Das kann für trans Personen sehr belastend sein.
Das habe den Anstoß zur Gründung von XY Média gegeben, sagen Carol Sibony und Youssef Belghmaidi. „In den USA und in Großbritannien spitzt sich der transphobe Diskurs in den Medien zu. Wir konnten nicht länger zuschauen, wie er auch in Frankreich immer vehementer wird“, so Sibony. Besonders habe sie die im Mai veröffentlichte Ausgabe der rechtsextremen Zeitschrift Valeurs actuelles über den vermeintlichen „Transgender-Wahn“ (frz. „le délire transgenre“) geprägt.
Crowdfunding und Hilfe von Promis
Außerdem seien die Präsidentschaftswahlen nächstes Jahr ein politischer Wendepunkt für LGBTQ-Rechte, meint Sibony. „Unsere Rechte könnten noch viel schlimmer missachtet werden, sollte eine rechtsextreme Regierung an die Macht kommen.“ Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2017 hatte es Marine Le Pen, Vorsitzende der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“, neben Emmanuel Macron bis in die letzte Runde geschafft. Sibony hat Angst, dass sich solch ein Duell auch 2022 wiederholt. Deswegen sei es genau jetzt wichtig, ihre Plattform zu starten. „Es war Zeit zurückzuschlagen“, so Belghmaidi.
Um sich zu finanzieren, starteten die sechs Gründerinnen von XY Média im März eine Crowdfunding-Kampagne. Große französische Medien berichteten darüber, und bekannte Namen der LGBTQ-Szene, wie die lesbische Journalistin Alice Coffin oder der queere Eurovision-Popstar Bilal Hassani, haben sie öffentlich unterstützt. „Wir haben überhaupt nicht damit gerechnet, dass die Kampagne so erfolgreich ist“, sagt Sibony. Schließlich ergab das Crowdfunding über 91.000 Euro von insgesamt 2.600 Kleinspender:innen.
Carol Sibony
Aus deutscher Sicht mag der Name XY („ics igrec“) für ein transfeministisches Magazin irritieren. Der Titel bezieht sich auf die transfeindliche Beleidigung „sale xy“, auf Deutsch „dreckiges xy“. „Hinter 'xy’ steckt eine transphobe Rhetorik, die eine trans Person auf ihren mutmaßlich biologischen Karyotypen reduzieren will“, sagt Sibony. „Das wollten wir uns zu eigen machen“.
Wie Sibony und Belghmaidi haben auch die anderen Mitarbeitenden verschiedenste Hintergründe, sind Aktivist:innen, Producer:innen, Tontechniker:innen oder Journalist:innen. Noch arbeiten sie alle ehrenamtlich und mit ihrer eigenen privaten Ausrüstung. Dank der Crowdfunding-Kampagne hoffen sie jedoch, dass sich XY zumindest für ein Jahr finanzieren kann. „Das Geld stecken wir in die Produktion unserer Videos, in Kameras und Laptops und in die Vergütung von trans Personen. Angesichts unserer unsicheren Situation ist das unbezahlbar“, sagt Belghmaidi.
Erst mal prekär
Und danach? Aus XY soll ein unabhängiges, selbstverwaltetes Medium mit fairer Bezahlung werden – wie sich ihr Projekt langfristig und dauerhaft finanzieren soll, wissen die Gründerinnen aber selbst noch nicht. Es ist unwahrscheinlich, dass sie jedes Jahr so viel Geld sammeln können, darüber sind sie sich im Klaren. Also suchen sie nach weiteren Finanzierungsmöglichkeiten.
Alle Inhalte sollen nach wie vor kostenlos und werbefrei zugänglich bleiben, versichert Sibony. XY ist jetzt ein gemeinnütziger Verein, dadurch können einerseits Fördermittel beantragt und andererseits Spenden der Leser:innenschaft eingenommen werden. Jede:r kann einmalig oder monatlich einen Beitrag zahlen, egal wie hoch. Auf Instagram, Twitter und Youtube laden die Redakteur:innen ihre insgesamt 46.000 Follower zum Spenden ein. Obwohl die Crowdfunding-Kampagne gezeigt hat, dass viele Menschen das Projekt unterstützen, ist es fraglich, wie viele ihrer Follower auch zahlende Leser:innen werden.
„Uns ist sehr bewusst, dass der Anfang schwierig sein wird, bis wir Fuß gefasst haben“, sagt Belghmaidi. Von Scheitern will Sibony dennoch nichts wissen. „Das ist für uns keine Option“, beharrt sie. „Unser Projekt wird klappen, denn wir sind zahlreich und hochmotiviert, wir werden Fördergelder erhalten und die Leute werden spenden.“ Das ist optimistisch, wenn man es mit den Finanzierungsmodellen bereits etablierter Onlinemedien vergleicht. Denn selbst netzpolitik.org hat es schwer, sich ausschließlich durch Spenden und staatliche Hilfen zu finanzieren – bei doppelt so vielen Followern.
Viele LGBTQI*-Menschen berichten von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb solle ihr Medium ein erster Schritt für trans Personen sein, sagt Sibony. „Wir wollen trans Personen Zugang zu Berufen geben, die ihnen sonst verwehrt bleiben.“ Mehr als zehn Personen hätten bereits wegen eines Praktikums angefragt.
Trans Leben dokumentieren
Was die Bezahlung der Mitarbeiter:innen angeht, bleibt Sibony vage. Bei XY sollen trans Menschen für ihre Arbeit vergütet werden. Dennoch werde niemand in Vollzeit arbeiten, das könne sich das Medium nicht leisten. Stattdessen sollen Gründerinnen und Redaktionsmitglieder wie freie Journalist:innen auf Honorarbasis, pro Artikel oder Video, oder pauschal pro Arbeitstag vergütet werden. Ein sicherer Ausstieg aus der Prekarität ist das zunächst nicht. Höchstwahrscheinlich kann so niemand in einer teuren Großstadt wie Paris leben.
Trotzdem sehe sich XY Média als ein solidarisches Medium, betont Sibony. „Unter solidarisches Medium verstehen wir, dass die Reichweite von XY dazu beitragen kann, weitere Projekte, Crowdfunding-Aktionen, Wohnungssuchen oder auch Hilfsgesuche für prekäre Transgender-Personen effizient zu verbreiten.“
Über Demos berichten, trans Personen interviewen, filmen und dabei sein, das hat noch einen weiteren Grund: Bei XY soll das Leben von trans Menschen dokumentiert und archiviert werden – langfristig. „Medien interessiert es nicht, wenn sich eine trans Frau umbringt und es eine Mahnwache gibt“, sagt Sibony. „Wir wollen an diese Ereignisse in der Geschichte von trans Menschen erinnern.“ Würde XY Média nicht darüber berichten, gäbe es von diesen Ereignissen keine Spur mehr, meint sie.
Bisher sind ihre Beiträge nur auf Instagram und Youtube zu sehen. Eine eigene Webseite ist in Arbeit. „Die Webseite ist sehr kostbar für uns, denn wir sind nach wie vor der Zensur-Politik dieser Plattformen ausgeliefert“, sagt Sibony. Ziel sei es auch, längere Dokus zu produzieren, ohne dabei in die aktivistische Schublade gesteckt zu werden. „Wir wollen auch über globale, politische oder wirtschaftliche Themen aus einer trans Perspektive berichten“, sagt Belghmaidi. „Nur weil wir trans sind, heißt das noch lange nicht, dass wir uns nur mit Trans-Themen befassen können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus