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„One Mississippi“ über eine trauernde krebskranke LesbeEndlich mal wieder mehr als Durchschnittspopcorn

Die Couchreporter Heute: Jenni Zylka

Wo ich wegen der neuen UCLA-Studie über mangelnde Diversität in Hollywood-Blockbustern doch gerade so schön und berechtigt schäumen musste: Für CouchreporterInnen ist das selbstredend anders. Zu wenig Frauen, Bunte, Gehandicapte, LGBT*? Ach was! „The L-Word“, „Transparent“, „Glee“, „Orange Is the New Black“, „Six Feet Under“ – das Serienuniversum umarmt sie alle. Und wenn in der neuen Amazon-Prime-Produktion „One Mississippi“ von und mit Tig Notaro einer der Charaktere im Rollstuhl die Tür aufmacht und der nach einer kompletten Mastektomie, einer fiesen Darmkrankheit und dem Tod ihrer Mutter nachvollziehbar etwas mit dem Schicksal hadernden lesbischen Protagonistin eine unglaubliche Neuigkeit eröffnet, dann zeigt das wieder, wie sehr sich die (guten) Serien vom Durchschnittspopcorn unterscheiden.

„One Mississippi“: Spielt dort unten, im Süden, wo die Sonne sticht wie Moskitos und die Sprache sich dehnt wie Kaugummi. „Son of a gun / we’ll have big fun / on the ba-you“, wie es im Vorspann heißt, doch dann hält sich der Fun in Grenzen. Denn die 45-jährige Stand-up-Comedianne, Autorin und Produzentin Notaro hat ein furchtbar trauriges Jahr ihrer eigenen Geschichte gemeinsam mit der „Juno“-Autorin Diablo Cody in eine „Traumedy“ adaptiert. Regie bei den ersten drei Folgen der Serie führte übrigens Nicole Holofcener, die neben so ziemlich allen Lieblingsserien auch die beiden Filme „Friends with Money“ und „Please Give“ inszenierte. Relevanz und Können – was wünscht man sich mehr?

Dabei muss man die Serie keineswegs allein wegen der Diversität mögen. Sie ist schlichtweg gut geschrieben – eines von diesen lakonischen, dichten, kleinen, persönlichen Observierungsprachtstücken à la „Curb Your Enthusiasm“ (nur nicht so komisch) oder „Love“ (nur nicht so schrill), das in den USA garantiert einige Shrinks arbeitslos machen wird. Mit der schlackernden Antiheldin Notaro, die zum Nachlassverwalten magenkrank und krebsgeschwächt durch ihre alte Heimat New Orleans humpelt und sich mit Bruder, Stiefvater, Freundin und den ganzen anstrengenden Lieben herumärgert, demonstriert „One Mississippi“ zudem ganz nebenbei die Geheimnisse der US-amerikanischen Soziologie: Viele tiefe Gespräche sind jene typische Mischung aus nacheinander offenbarten persönlichen Anekdoten. Oder wie Sheldon es einst in „The Big Bang Theory“ ausdrückte: „Jetzt erzählst du etwas, und ich erzähle etwas anderes, ohne direkt darauf einzugehen, und dann sind wir Freunde?“ „Nun . . . genau . . .“, antwortete Leonard.

„One Mississippi“ ist übrigens ein Ausdruck für die Länge einer Sekunde: „One Mississippi, two Mississippi“ sagt man in den USA, wenn man sekundengenau zählen will. Denn die Protagonistin in „One Mississippi“ hatte ihr letztes Stündlein schlagen gehört. Sie ist dem Tod von der Schippe gesprungen, aber noch nicht aus dem Schneider – jene schwere Bakterienerkrankung ist eine häufige Folge einer Krebsbehandlung. Dass Notaro und ihre Kolleginnen daraus kein Krankheitsdrama machen, keinen Pathos auskippen, keine Durchhalteparolen verstecken, und sich die Stand-up-Comedianne zudem mit ihren Pointen zurückhält, macht die Serie glaubhaft. Und anrührend: Am liebsten würde ich Notaro eine nette Postkarte schicken. Wenn das nur nicht so kitschig wäre.

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