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Onan, der patriarchale Verweigerer

■ Bei den Männern ging es am sinnlichsten zu: Erkenntnisse über Onanie und andere Vergnüglichkeiten. Telefonsex für 24.000 Mark bringt rund drei Liter Sperma

Der Themenblock „Sexuelle Dimensionen männlicher Körperlichkeit“ war vielleicht der persönlichste, der lustigste, der sinnlichste des ganzen Kongresses. So amüsierte der Berliner Psychologe Bertram Wohlenberg seine ZuhörerInnen mit einem sprühenden Vortrag zum Thema Onanie.

Bereits in der 24. Schwangerschaftswoche entwickelten männliche Embryos „artistische Leistungen“, um am Penis zu lutschen, wußte Wohlenberg. Ein gewisser CSU-Landtagsabgeordneter habe beim Telefonsex rund 24.000 Mark Steuergelder verbraten, um ungefähr 695mal zu kommen und runde drei Liter Sperma zu produzieren. Dabei, so die überraschende Feststellung, gebe es in Wirklichkeit gar keine Onanie. Sie sei nichts als eine kulturelle Konstruktion, eine Erfindung des Bürgertums.

Onan, „der Kerl aus der Bibel“, sei der erste Verweigerer patriarchaler Vorschriften gewesen. Als sein älterer Bruder starb, habe er sich entgegen dem herrschenden Gesetz geweigert, seine Schwägerin zu schwängern – ob per Koitus interruptus oder anderswie, ist nicht überliefert. Danach habe es jahrhundertelang niemand für nötig gehalten, über Onanie zu reden. Erst im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus sei sie zum inkriminierten Akt geworden.

Nun wurden für Männlein wie für Weiblein gespickte Keuschheitsgürtel geschmiedet und Hunderte von Traktaten verfaßt. Rousseau und andere „Aufklärer“ beschrieben die Verwerflichkeit dieses Tuns und die daraus notwendig folgende Schwächung des Körpers. Richard von Krafft-Ebing, einer der ersten Sexualwissenschaftler, ortete die Masturbation als Hauptursache verschiedener „Perversionen“, namentlich „der Homosexualität“. Schlimmste Folge dieser geistigen Ergüsse laut Wohlenberg: „Bis in die 20er und 30er Jahre dieses Jahrhunderts hinein wurde in Lehrbüchern die Klitorisentfernung empfohlen, wenn Mädchen häufig onanierten.“ Auch Freud habe die blutige Verfolgung der Onanie nicht gestoppt, nur bei Kleinkindern habe er sie als harmlos angesehen.

Warum war die Selbstbefriedigung plötzlich des Teufels? Letztlich bleibe das „ein menschliches Rätsel“, gab der Referent zu. Vielleicht habe Michel Foucault ja recht, der sexuelle Verdikte immer auch als Mittel begriff, verbotene Lüste zu kreieren. Allzu optimistische autonome OnanistInnen sehen hingegen mit der Selbstbefriedigung „die Funktionsfähigkeit des Patriarchats“ gefährdet: „Nur wer gelernt hat, sich selbst nicht mehr zu spüren, bekommt Lust an Unterdrückung und Ausbeutung. Die Revolution fängt im Mixer an, sie ist für den Arsch und die Befreiung unserer Lüste.“

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