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Olympische Regatten an Englands SüdküsteAn der schrägen Insel

Der Austragungsort der olympischen Segelwettbewerbe zwischen Weymouth und Portland ist ein fast vergessenes, geheimnisvolles Kuriosum. Wird er nun wach geküsst?

Hart am Wind: die französischen Segler Xavier Rohart und Pierre Alexis Ponsot vor der südenglischen Küste Bild: dapd

Seit Sonntag tummeln sich Segler aus aller Welt in den Gewässern von Weymouth und Portland. Sie kämpfen um das olympische Gold an einem der kuriosesten Orte der englischen Geschichte. Dorset an sich ist gemütliches Südengland pur, aus grünen Hügellandschaften und steilen Kalkfelsen mit atemberaubendem Küstenpanorama.

Die Insel Portland steht mittendrin im Meer, als lang gestreckter schräger Brocken voller Geheimnisse. Sie ist mit dem Festland an der Hafenstadt Weymouth nur durch einen Damm verbunden, am Anfang des weltweit längsten Kieselstrandes Chesil Beach, ein geologisches Weltwunder. Die Wettbewerbe finden in der natürlichen Bucht zwischen den Häfen von Portland und Weymouth statt.

An Weymouths heutiger Promenade – die eigentlich Melcombe Regis heißt – wurde im Mittelalter auf einem Schiff aus Frankreich die Pest eingeschleppt, die 1348 bis 1349 rund die Hälfte der englischen Bevölkerung dahinraffte.

Es ist wohl eine historische Revanche, dass Portland später zu einem zentralen Militärstützpunkt gegen Frankreich wurde, mit einer im 16. Jahrhundert errichteten Burg und einer großen Marinebasis, die zuletzt bei den Vorbereitungen der D-Day-Landungen in der französischen Normandie 1944 eine wichtige Rolle spielte. Die Marinebasis schloss erst 1999. Danach stand sie leer. Bis die Olympischen Spiele sie wach küssten.

Seit der Steinzeit besiedelt

Die Insel Portland, seit der Steinzeit besiedelt, ist kein Anhängsel des Festlandes Dorset, sondern grenzt sich davon stark ab. Manche behaupten, ihre Ureinwohner seien gar keine Engländer. Zur Identität Portlands gehört die Fischerei im stürmischen Meer, früher auch Schmuggel und Piraterie.

Und die gigantischen Steinbrüche, die das Landesinnere der Insel in eine bizarre Mondlandschaft verwandelt haben. „Portland Stone“ gilt als der beste Großbritanniens; aus ihm wurde das Londoner Regierungsviertel gebaut, die St. Paul’s Cathedral und andere markante Londoner Gebäude.

Selbstbestimmt war das nicht. Portland mit seinen Steinbrüchen galt lange als Strafkolonie der britischen Krone. Sträflinge und Marinesoldaten – neben all dem blieb die einheimische Bevölkerung marginalisiert und vor allem mit sich selbst beschäftigt.

Bis heute gibt es auf Portland ein Hochsicherheitsgefängnis für Jugendliche, versteckt in der weitverzweigten und nur zum Teil für die Öffentlichkeit zugänglichen Festungsanlage Verne Citadel, die hoch über der Insel thront. Die meisten Steinbrüche sind heute geschlossen und verwildert, das einzigartige historische und archäologische Erbe Portlands ist größtenteils dem Verfall und dem Vergessen preisgegeben.

Düsterer Felsen voller Schmuggler

Portland als düsterer Felsen voller Schmuggler, Sträflinge und Soldaten – dieser Ruf hat es der Insel andererseits bislang erspart, von Urlaubern so überlaufen zu sein wie der Rest von Dorset. Weymouth auf dem Festland ist wieder anders: ein mondänes Baderessort, das seine besten Tage schon hinter sich hat.

Seine Versuche, im Zuge der Olympischen Spiele seinen lädierten Charme zu verlieren, erscheinen eher kontraproduktiv. Dass 2011 die bunte viktorianische Straßenbeleuchtung an der Promenade zugunsten moderner Laserbeamer geopfert wurde, erregt die Bewohner bis heute.

In Portland hält jetzt mit den Olympischen Spielen eine aufgesetzte Moderne Einzug. Aus der früheren Marinekaserne wurden Luxuswohnungen mit Panoramablick und Jachthafen nebenan. Neue Wohnsiedlungen, ausnehmend hässlich im Vergleich zu den alten Fischerhütten, ersetzen das frühere Militärgelände.

An der Einfahrt zur Insel ist ein Skaterplatz entstanden. Wo sich aber die Straßen die Felsen hinaufschlängeln, ringen kleine Geschäfte um ihre Existenz und bangen knorrige Alteingesessene um ihre Identität. Vergangenes Jahr tauchte ein neuer Autoaufkleber auf: „Keep Portland Weird“ – Portland soll schräg bleiben. Man kann es der Insel nur wünschen. Olympia hin oder her.

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