Olympia: Putins Spiele
Sitzt der heutige Chef des Kreml auch noch 2014 dort? Dafür gibt es bereits konkrete Pläne.
MOSKAU taz Russland ist aus dem Häuschen. Die russische Kurortmetropole Sotschi am Schwarzen Meer erhielt den Zuschlag für die Winterspiele 2014. Erstes olympisches Gold geht an Präsident Wladimir Putin. Der Kremlchef hatte die Kandidatur des subtropischen Ferienortes selbst angeregt, zur Chefsache erklärt und den Erfolg mit seinem persönlichen Prestige verknüpft. Der Abfahrtsläufer im Kreml machte nicht nur den Skisport unter Staatsbeamten populär, er entdeckte auch den Austragungsort der Spiele "Krasnaja Poljana", was auf Deutsch "schöne Lichtung" heißt.
Diese Lichtung liegt 25 Kilometer von Sotschi entfernt im kaukasischen Bergmassiv und ist über die neu gebaute "Straße der Verteidiger des Kaukasus" zu erreichen. Der Name ist Programm. Russlands Bewerbung glich einem Eroberungsfeldzug, bei dem es um mehr als Winterspiele zu gehen schien.
Mit dem Triumph wächst auch das Selbstbewusstsein des Kreml. Russlands Geld und Putins starker Wille müssen auch auf das Olympische Komitee bestechend gewirkt haben. Die IOC-Mitglieder gaben sich in der guatemaltekischen Residenz Putins die Klinke in die Hand, berichtete die Nesawissimaja Gaseta. Wie immer war der Kremlchef bestens präpariert: Er pries die Funktionäre für ihre größten Erfolge und nannte deren Enkelkinder beim Namen.
Putin hat viel gegeben und alles erreicht. So sieht es Russland. Putins Höhenflug wirft die Frage wieder auf, braucht das Land im nächsten Jahr überhaupt einen neuen Präsidenten? Im Frühjahr 2008 finden Präsidentschaftswahlen statt. Nach zwei Amtsperioden darf der Kremlchef nicht mehr antreten. Die Nachfolgeregelung verunsichert Moskaus Machtzirkel wie kein anderes Thema. Sie sähen es am liebsten, Putin bliebe im Amt. Szenarien für eine Umgehung der Verfassung liegen fertig in den Schubladen.
Noch gilt Putins Wort, den Thron 2008 zu räumen. Die Spiele in Sotschi sind auf jeden Fall Putin-Spiele. Er kann den Wettkampf als Elder Statesman eröffnen oder als amtierender Kremlchef. Setzt Putin einen farblosen Übergangskandidaten ein, den das Volk auch absegnet, kann er aus dem Hintergrund Regie führen. Dafür ließe sich die Bedeutung des Premierministers stärken. Zeigt sich der Neue der Aufgabe nicht gewachsen, tritt er zurück und macht den Weg für eine dritte Kandidatur Putins frei - das wäre sogar im Einklang mit der Verfassung.
Russlands Superreiche beugten sich indes dem olympischen Motto "Dabei sein ist alles". Notgedrungen, denn würden sie sich dem Auftrag des Kreml verweigern, bliebe das für ihre Imperien nicht folgenlos. Milliardär Oleg Deripaska (Firmen: Basic Element, Rusal) baut den Flughafen von Sotschi und voraussichtlich auch das Olympische Dorf. Seine Gesamtinvestition: zwei Milliarden Dollar. Wladimir Potanin (Interferos, Norilsk Nickel) wendet 350 Millionen Dollar für ein Skigebiet auf, das in einem Naturschutzpark errichtet wird. Energiegigant Gazprom schießt 400 Millionen Dollar in das Wintersportprojekt. Die Planung sieht Gesamtkosten von 12 Milliarden Dollar vor. 60 Prozent übernimmt der Staat, 40 Prozent Privatfirmen. Eine kolossale Summe, die Begehrlichkeiten weckt. Laut Korruptionsforschern versickert ein Drittel öffentlicher Gelder in den Taschen Unbefugter.
Die Bedeutung des Unternehmens für das nationale Prestige führte schon im Vorfeld dazu, dass Einwände von Bürgern und Umweltschützern übergangen wurden. Russland hat Erfahrungen mit Großprojekten von nationalem Maßstab. Deren Erfordernissen haben sich alle übrigen Interessen unterzuordnen. Prestigeobjekte unterliegen so etwas wie einer "Kriegsgerichtsbarkeit".
Gazprom ließ bereits 95 Hektar Wald abholzen. Als nächstes sind Schneisen für Biathlon und Langlauf geplant. In Gefahr ist auch das kaukasische Biosphärenreservat, ein Weltnaturerbe. Fast alle olympischen Objekte liegen in unberührten Naturlandschaften, sieben allein im Nationalpark Sotschi. "Die Mehrheit der Vertreter des IOC hat sich den Einflüsterungen der russischen Wirtschaftslobby gebeugt, ohne sich das Ausmaß der negativen Folgen für das einzigartige Weltnaturerbe im russischen Westkaukasus bewusst zu machen", meinte NABU-Vizepräsident Thomas Tennhardt.
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