: Olens Kahnmann
Wer soll das deutsche WM-Tor hüten? Die taz hat bei den großen Keepern von einst nachgefragt
VON MARKUS VÖLKER
Seit Wochen steht die Antwort auf eine elementare Fangfrage aus: Jens Lehmann oder Oliver Kahn, beide 36. Wer steht im Tor der deutschen Nationalmannschaft während der Fußball-Weltmeisterschaft? Der Münchner mit den vielen Fürsprechern? Oder der Exilhüter mit dem großen Selbstbewusstsein? Nur Jürgen Klinsmann allein vermag darauf eine Antwort zu geben, denn er war es, der das Duell der Ballfänger kreiert hat – und bis heute andauern lässt. Der Bundestrainer vertagt in der aktuellen Ausgabe des Kicker die Entscheidung: „Ich selbst weiß zur Zeit noch nicht, wer im Tor stehen wird.“ Anfang Mai will er nun seinen Vorzugskeeper benennen. Reichlich spät, denn die Erschütterungen seines Urteils werden weithin zu spüren sein, wohl auch auf dem Areal von Arsenal London, wo Lehmann zwischen den Pfosten steht; es könnte im Land der Torwarte danach zu tektonischen Verschiebungen kommen – und nicht nur da. Im Gegensatz zu Klinsmann hat Fußball-Deutschland, dieses Konglomerat aus Freizeit-Bundestrainern und diffus Interessierten, seine Entscheidung längst getroffen. Auch ehemalige Torhüter haben ihr Urteil gefällt. Die taz hat einige Ex-Keeper befragt.
Toni Schumacher, 52, macht sich für Oliver Kahn stark. „Für mich besteht kein sportlicher Grund, ihn rauszunehmen“, sagt er. Zur Veranschaulichung seines Standpunktes vergleicht er das Duell der Torsteher mit einem Boxkampf. „Im Ring hat der Herausforderer nur dann eine Chance, wenn er den Champion klar schlägt – und das sehe ich einfach nicht.“ Fakt ist: Beide Keeper spielen in den letzten Wochen recht solide. Nur kleinere Patzer sind ihnen unterlaufen. Kahn sagt, er wüsste nicht, was gegen ihn sprechen sollte. Lehmann sieht das ähnlich. Schumacher kennt die Situation eines heißen WM-Scharmützels. Seinerzeit, 1986 in Mexiko, ist es zu seinen Gunsten ausgegangen. Franz Beckenbauer bestätigte ihn als Nummer eins. Uli Stein meinte daraufhin, der Teamchef sei „ein Suppenkasper“ – und durfte nach Hause fahren. Zu diesem Szenario wird es in diesem Sommer nicht kommen; die Alpha-Tiere werden schon vorm Championat getrennt. Oder doch nicht? Toni Schumacher rät zu einer Doppellösung Kahn-Lehmann: „Es ist doch weitaus attraktiver, im eigenen Land WM zu spielen, als im Schmollwinkel zu stehen.“ Aber würde Lehmann sich eine erneute Zurücksetzung gefallen lassen, nachdem er stets brav als Ersatz oder 1b-Bankdrücker ausharren musste und bei Großturnieren nicht zum Einsatz kam? Und wird ein Kahn, der nichts anderes kennt als die Rolle des Privilegierten, vom Spielfeldrand aus zuschauen? Schumacher mahnt jedenfalls zur Eile; Klinsmann solle endlich Tacheles reden, damit alle wüssten, woran sie sind.
Das fordert auch Heinz-Josef „Jupp“ Koitka, 53. „Die Entscheidung hätte schon längst fallen müssen, sie ist überfällig“, sagt er. Eine Mischung aus beiden, Kahn und Lehmann, würde er im Tor stehen sehen wollen: „Jens Kahn wäre nicht schlecht.“ Kahn überzeuge durch seine Aggressivität, die starke Persönlichkeit und durch seine Reaktionsschnelligkeit auf der Linie. Für Lehmann spreche die gute Strafraumbeherrschung und das fußballerische Können – eine Beurteilung, die sich immer wieder findet in den Expertisen der Ehemaligen. Ex-Keeper Koitka hat auch so manches Duell mit Rivalen ausgefochten; es gehört zum Alltag eines Torwarts wie die Faustabwehr im Strafraum. „Meine Duelle mit Uli Stein beim HSV waren ja vom Feinsten“, erinnert sich Koitka, „aber jetzt beleidigt den Schwanz einzuziehen, wenn eine WM im eigenen Land stattfindet, das wäre eine falsche Entscheidung.“ Lehmann und Kahn seien alt genug, um sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen – als Nummer 1 und 2. Koitka kennt Lehmann sehr gut. Anfang der 90er-Jahre hat er den damals 18-Jährigen bei Schalke 04 trainiert. „Er war damals schon ein Besessener, unheimlich ehrgeizig und verbissen. Für ihn stand da bereits fest, dass er Nationaltorwart wird.“ Nach Jahren der Vertröstung unter Erich Ribbeck und Rudi Völler, „in denen sich der Jens nicht gleichwertig behandelt fühlte“, sei es nun an der Zeit, Lehmann eine Chance zu geben, lässt Jupp Koitka durchblicken. Dieter Burdenski, 12 Länderspiele, findet die Debatte künstlich. „Wir könnten mit Kahn oder Lehmann Weltmeister werden, wichtig ist, dass endlich Ruhe einkehrt.“ Ein „Luxusproblem“ sei da vom Bundestrainer geschaffen worden. „Der Klinsmann zögert die Entscheidung heraus, weil er selber mit ihr Probleme hat. Er versucht, Zeit zu gewinnen“, vermutet Burdenski, der 1988 mit Werder Bremen die Meisterschaft feiern durfte – als Nummer zwei hinter Oliver Reck. Burdenski, 55, glaubt nicht an ein WM-Duo Kahn-Lehmann. „Die setzen sich doch nicht auf die Bank, das sind doch kleine Egomanen.“ Vielleicht hoffe Klinsmann insgeheim, „dass sich einer von beiden noch verletzt, dann wäre das Thema vom Tisch“, mutmaßt Burdenski. Er prognostiziert, dass sich im Mai Klinsmann auf Kahn „einschießen“ werde, „auch wenn er nicht 100-prozentig den Kahn will“. Das Pro für Kahn garantiere angesichts der starken Bayern-Lobby aber ein ruhigeres Arbeiten. Das ist ein starkes Argument für den Mann vom FC Bayern. Je mehr Zeit Klinsmann verstreichen lässt, desto wahrscheinlicher ist eine Bestätigung von Oliver Kahn als Nummer eins.
Andreas Köpke, als DFB-Torwarttrainer der Verwalter des Status quo, gibt in diesen Tagen allenfalls spitzfindige Antworten auf die Frage der Fragen. Auf jeden Fall werde bei der WM „ein sehr guter Torhüter“ zwischen den Pfosten stehen, verkündet er. Das glaubt man ihm gern. Deutschland hat noch ein gutes Dutzend davon – neben Kahn und Lehmann.