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Der Kommentar

Olaf Scholz' Europa-Pläne Der Null-Wumms

Wie stellt sich Bundeskanzler Olaf Scholz eigentlich die gemeinsame Zukunft Europas vor? Eine Analyse seiner Luftnummern.

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht im Europaparlament Foto: dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 16.05.2023 | „Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt, wer nationale Großmachtphantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit.“ So sprach Bundeskanzler Olaf Scholz am 9. Mai in Straßburg im Europaparlament. Scholz sieht Europa nicht als dritte Weltmacht neben China und den USA , die „auf Augenhöhe“, wie man so sagt, um weltweite Hegemonie im Systemkrieg ringt. Er favorisiert ein „geopolitisches Europa“. Das ist ein Europa unabhängiger Nationen, die sich in der EU völkerrechtlich verbindlich aneinandergebunden und interessenbezogen abstimmen und sich dabei immer unter dem Schutzschirm der USA sehen.

Auf diesem Fundament will Scholz mit allen Schwellen- und Entwicklungsländern eigene deutsche und europäische Wirtschafts- und Handelsinteressen verfolgen. Dieses „geopolitische Europa“ braucht nach innen für seine Zusammenarbeit stärkere Regeln, die alle Mitglieder fester verpflichten. Die gemeinsame Haltung bei der Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriff dient ihm als Blaupause, wenn er eine abgestimmte europäische Verteidigungswirtschaft fordert. Scholz verlangt qualifizierte Mehrheitsentscheidungen anstelle des lähmenden Einstimmigkeitsprinzips in der EU-Außenpolitik und ein erweitertes Steuerprivileg für die EU. Er fordert eine rechtsverbindliche Stärkung der EU-Kommission, damit sie in eigener Zuständigkeit Vertragsverletzungsverfahren einleiten kann, wenn ein Mitglied gegen die Grundwerte „Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte“ verstößt. Scholz setzt sich für die Erweiterung der EU um Nordmazedonien, Albanien und den Kosovo ein, um diese Länder und die EU so vor der destruktiven Einflussnahme Russlands und Chinas zu schützen. Er hält die baldige EU-Mitgliedschaft der Ukraine, Moldawiens und Georgiens für erforderlich.

Der Bundeskanzler will, so scheint es, realpolitisch den bisher erfolgreichen Weg des Schritt-für-Schritt-Zusammenwachsens der europäischen Länder, die Überwindung nationalstaatlichen Denkens und die Stärkung der EU als große Gemeinschaft freiheitlich demokratischer Staaten fortsetzen. Nicht zu erkennen war in seiner Rede aber, ob und mit welchen Schritten der Kanzler und damit die Bundesrepublik den von ihm vorgeschlagenen EU-Reformprozess voranbringen will.

Zu Zeiten der Europapolitik des Kanzlers Helmut Kohl (CDU) war das anders. Kohl hat von Beginn seiner Kanzlerschaft 1982 an, das Vermächtnis Konrad Adenauers umsetzend, an der Zusammenarbeit mit Frankreich gearbeitet. Seine Freundschaft mit Präsident Mitterand hat mit symbolischen Schritten und Projekten für viele Jahre ein festes deutsch-französisches Vertrauensfundament hergestellt. Dazu gehören die Aussöhnung über den Gräbern der Soldaten, die Gründung des Fernsehsenders Arte, die Aufstellung einer deutsch-französischen Brigade, die Einrichtung eines deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates und das Eurokorps. Darauf aufbauend folgten die einheitliche Europäische Akte von 1985, die Wirtschafts- und Währungsunion 1988, nach der Wiedervereinigung der Vertrag von Maastricht 1992 und schließlich 2002 die Einführung des Euro. Alle diese Verträge waren von Kohls Maxime geprägt: „Die künftige Architektur Deutschlands muss sich in die künftige Architektur Gesamteuropas einfügen“. Kohl wusste, dass eine Wiedervereinigung und eine sichere und erfolgreiche Zukunft für alle Deutschen nur erreichbar waren, wenn das wiedererstarkte Deutschland in der Mitte Europas nie wieder der dominierende Hegemon des Kontinents werden würde. Diese Politik zielte auf ein Vereinigtes Europa und wurde auch nach seinem Abgang 1998 fortgeführt.

Eine auf nationale Interessen ausgerichtete Europapolitik schwächt die EU

Im Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVE) wurde am 20.Oktober 2004 in Rom von allen Staats- und Regierungschefs ein völkerrechtlicher Vertrag unterzeichnet, durch den das politische System der EU demokratischer und handlungsfähiger gemacht werden sollte. Wegen gescheiterter Referenden in Frankreich und den Niederlanden ist er dann allerdings nicht in Kraft getreten. An die Stelle einer europäischen Verfassung trat 2007 der Lissabon-Vertrag, der den bis heute geltenden Status Quo in der EU festgeschrieben hat.

Vor diesem Hintergrund und der aktuellen Politik der Bundesregierung wird das Ungenügen der Scholzschen Vorschläge für eine zukunftgestaltende Europapolitik in Brüssel sichtbar. Sein in der EU unabgestimmter „Doppelwumms“ (Scholz) in der Energiepolitik, seine in Europa unabgestimmte Zeitenwende zur Wiederaufrüstung der Bundeswehr, das Ausbremsen des Zulassungsende für Verbrenner-Autos, sein Desinteresse daran, eine einheitliche Migrations- und Einwanderungspolitik für die EU aufzulegen, seine widersprüchliche China-Politik, die die Fehler der Russland- Politik wiederholt und die geplante Einführung eines Energie-Preisdeckels für die Industrie im Alleingang sind nur die bekannteren Bespiele für eine Europapolitik, die primär auf nationale deutsche Interessen bezogen ist – und damit die EU schwächen und der Bundesrepublik schaden. Muss denn, nur mal zum Beispiel, daran erinnert werden, dass die Transformation in nachfossiles Produzieren zur Neubegründung der ökonomischen Stärke Europas als nationales deutsches Projekt keine Zukunft hat? Erschwerend kommt noch hinzu, dass dieser Kanzler mit dem gelegentlich erratischen Präsidenten Macron in fast keiner Frage eine gemeinsame Sprache findet.

Wird auch noch das Erstarken einer europafeindlichen nationalistischen Rechten in ganz Europa einbezogen, die die Abwicklung der EU propagiert, dann wird deutlich, dass die Vorschläge von Scholz in seiner Rede Luftnummern sind, die nur verdecken, dass die Bundesregierung realiter harte deutsche Interessenpolitik mit einer eigenen Kanzler-Außenpolitik betreibt, die sich unter dem Sicherheitsschirm Amerikas sicher fühlt. Frankreichs Präsident Macron weist – zu Recht – immer wieder darauf hin, dass dieser US-Schirm einen eigenen gesamteuropäischen Weltmachtstatus als Sicherheitsanker für die Zukunft aller Europäer nicht ersetzen kann. Europa braucht für seine sichere Zukunft eine von allen Bürgern legitimierte Verfassung, es braucht die Vereinigten Staaten von Europa.

Scholz, jedenfalls, will das nicht.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.