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Archiv-Artikel

Ohne sichere Formel

Hitzige Diskussion: In einem Berliner Multiplex wurde über Hany Abu-Assads Film „Paradise Now“ gestritten

Man habe die kontroversen Reaktionen erwartet, sagte der deutsche Koproduzent des Filmes „Paradise Now“, Roman Paul, auf einer Podiumsdebatte am Donnerstagabend am Potsdamer Platz. Mit „Filmen, die etwas wagen und etwas wollen“, trete man an, um „Verunsicherung zu schaffen und fruchtbare Diskussionen zu generieren“. Die Verunsicherung hat man schon erreicht, das haben die teilweise heftigen und emotionalen Publikumsreaktionen während der Veranstaltung gezeigt. Ob der Film über die letzten Stunden zweier palästinensischer Selbstmordattentäter auch fähig sein wird, die versprochene „fruchtbare“ Auseinandersetzung anzuregen, oder bloß einen Skandal generiert, bleibt noch abzuwarten. Am Donnerstagabend mahnte der Moderator gleich zu Beginn, die Diskussion nicht auf der falschen Ebene zu führen. „Grundlage dieser Veranstaltung ist der Film als Kunstwerk“ und nicht der Nahostkonflikt in all seiner Undurchschaubarkeit.

Allein, es hat nichts genützt. Sooft er Podium und Publikum im Lauf des Abends auch daran erinnerte – den Rückzug auf die sichere Formel, dass der Film Kunst und somit bloß subjektive Aussage sei, wollten die wenigsten mitmachen. Der Versuch war von vornherein aussichtslos: Schließlich saßen auf dem Podium keine nüchternen Filmkunstkritiker, sondern Experten des Interkulturellen. Maya Zehden, Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und Geschäftsführerin der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, sagte, sie habe den Film eigentlich gar nicht sehen wollen. „Ich möchte mich nicht mit einem Selbstmordattentäter identifizieren.“ Obwohl der Film den Anspruch erhebe, die „Dokumentation“ einer realen Situation zu sein, habe sie über das alltägliche Leben in Palästina so gut wie nichts erfahren. Zudem vermittle er ein eindeutig negatives Israelbild. Tatsächlich sind die einzigen Dialogzeilen, die von einem Israeli gesprochen werden, ausgerechnet in gebrochenem Deutsch – Merkmal des Fremden – synchronisiert worden, während die Palästinenser scheinbar lupenreine Hochsprache beherrschen. Im Original spricht der israelische Taxifahrer gebrochenes Englisch, versucht der Koproduzent die Entscheidung des Verleihs zu rechtfertigen. Allerdings gilt das in dieser Szene auch für die palästinensischen Fahrgäste, die ohne Sprachfehler eingedeutscht wurden.

Khaled al-Khatib von der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft bot eine überraschende Deutung an: „Paradise Now“ habe „nichts mit Israel und Palästina zu tun“. Für ihn war der Film vielmehr ein „universelles Symbol“, die Beschreibung eines psychologischen Zustands von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, wie er überall auf der Welt herrschen könnte. Aiman Mazyek, Mitglied des Zentralrats der Muslime, Publizist und Betreiber einer Islam-Website, erinnerte daran, dass man als Kinozuschauer auch die Aufgabe habe, sich mit extremen Positionen auseinander zu setzen. „Mich interessiert sehr wohl, wie Menschen zu Monstern werden.“ Er begrüße die Fragen, die „Paradise Now“ aufwerfe, die Momente des Zweifelns der Figuren an der Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen. Als Zielgruppe machte er „mögliche Sympathisanten“ aus, bei denen der Film ebensolche Zweifel auszulösen vermöge.

Hitzige Auseinandersetzungen gab es auch unter den rund 60 Zuhörern. Ein Großteil der Diskussion wurde darüber geführt, wie man sich in Diskussionen zu verhalten habe. Da kam der Rat des Friedensforschers Werner Ruf gerade recht: Lerne man nicht, einander zuzuhören, werde man den bestehenden politischen Konflikt schon gar nicht lösen. DIETMAR KAMMERER