: Ohne Samthandschuhe
LEIPZIG Das von Studenten gegründete Wochenmagazin „Weiter“ will kritischer recherchieren als die etablierten Lokalmedien
DIRK STASCHEIT, „WEITER“-MACHER
VON DANIEL BOUHS
Schwere Vorwürfe an das journalistische Establishment: Die Leipziger Volkszeitung gehe doch „nur noch Stimmen sammeln und nicht mehr recherchieren“, und auch der gut ausgestattete MDR mache aus seinen Möglichkeiten „nicht wirklich viel“. Der Mann, der so deutlich gegen die Etablierten schießt, heißt Dirk Stascheit. Zusammen mit einem guten Dutzend anderer junger Menschen hat der Student ein Magazin aufgezogen, das Weiter heißt, 16 Seiten umfasst und zu einem Verkaufspreis von 1 Euro von heute an immer freitags in Leipzig erscheinen soll – nicht etwa als weiteres halbgares Stadtmagazin, sondern als Zeitschrift mit investigativem Anspruch.
„Wir sind nicht 50 und haben auch kein Parteibuch“, sagt Jonathan Fasel. Die Studenten – überwiegend der Journalistik – glauben, dass Leipzig „mehr verdient hat“. Mehr heißt in diesem Fall vor allem: aufwändigen Journalismus. Daran mangele es bei der Tagespresse, die viele Geschichten „nicht ausrecherchiert“ habe, etwa die Personalknappheit bei der Leipziger Polizei.
Das ist dann auch der erste Titel, drei Seiten lang: „Weniger Polizisten, mehr Probleme“. Dirk Stascheit hat dafür unter anderem mit einem „unter Druck geratenen“ Dealer gesprochen, Statistiken analysiert und sich durch Polizeistellen telefoniert. Ein Aufwand, den die Zeitung am Platze scheue, natürlich auch, weil die „kaum noch Geld haben, um in Recherche zu investieren“, wie Stascheit sagt.
Die Haltung seines Magazins fasst er so zusammen: „Uns interessiert nicht, welcher DJ am Abend im Club auflegt, sondern wie der Besitzer des Ladens an seinen neuen Porsche gekommen ist.“ Ein Anspruch, den die Studenten nur schwerlich werden durchhalten können. Sie glauben aber daran, dass sich ein Wochenmagazin Ausgabe für Ausgabe mit spannenden Geschichten aus Leipzig füllen lässt. In der ersten Ausgabe gehen sie dafür auch dem Tod von zugewanderten Igeln und Füchsen nach. Und sie haben sich in aller Eile um die Folgen der Unternehmenspleite für Leipziger Quelle-Läden gekümmert.
Weiter will eben auch aktuell sein. Fraglich ist aber, wie lange das klappen wird, vor allem wie verlässlich. Denn das Geld fehlt an allen Ecken und Enden: Honorare kann Weiter nicht zahlen, gut ausgestattete Redaktionsräume schon gar nicht. Das Magazin entsteht am Küchentisch. Das ist zwar charmant, dürfte aber nicht lange zur Motivation der Beteiligten beitragen. Da haben es sogar Schülerzeitungen besser. Außerdem wird das Redaktionsteam die Hefte in der Fußgängerzone selbst verkaufen müssen und künftige Abonnenten alle sieben Tage persönlich abradeln, weil ein Vertrieb zu teuer ist.
Dirk Stascheit hat dabei bereits Erfahrungen mit selbstinitiierten Zeitungsprojekten: 2003 gründete er, ebenfalls mit anderen Journalistik-Studenten, die unabhängige Tageszeitung Der Leipziger, die werbefrei war, auch auf der Straße verkauft wurde – und nach wenigen Tagen wieder eingestellt wurde.
Diesmal soll es länger dauern. Jonathan Fasel gibt zwar zu, dass „so ein Projekt in der Startphase nur mit Selbstausbeutung funktionieren kann“, er glaubt dennoch fest daran, dass sich Weiter irgendwann selbst tragen kann: „Leipzig ist sehr westlich, hat eine Universität und einen großen Teil der Buchbranche – das sollte klappen.“
An das intellektuelle Leserpotenzial in Sachsen glaubt nicht zuletzt auch die Wochenzeitung Die Zeit: Die hat gerade gestern angekündigt, in Sachsen ihre bundesweit erste, doppelseitige Regionalausgabe zu starten – und dürfte damit auch Weiter Konkurrenz machen. Oder andersherum.
Damit es keinen der Beteiligten trifft, falls die Sache doch schiefgeht, wurde vorsorglich eine sogenannte Mini-GmbH gegründet. So will man verhindern, dass es jemanden in die Privatinsolvenz treibt, wenn auf Weiter etwa eine mächtige Schadenersatzklage zukommt. Wird der Anspruch durchgezogen, Probleme in Politik und Wirtschaft zu thematisieren, die andere lieber mit Samthandschuhen anfassen, dürfte Weiter juristischer Gegenwind sicher sein.
Wie ernst es die Weiter-Macher meinen, sagt Constanze Kretzschmar, die wie viele andere Mitgründer im Februar ihren Abschluss machen will: „Wenn das bei uns dann noch weitergeht und Geld in die Kasse kommt, bleibe ich natürlich lieber, als woanders anzuheuern.“