AN DER TANKSTELLE : Ohne Korken
Abends trinke ich jetzt immer Rotwein. Erstens passt es zu meinem Verruchte-Künstlerin-Image und zweitens ist Rotwein gut zum Runterkommen. Von Weißwein werde ich immer so kribbelig, Bier macht blöde und Blähungen, Schnaps mag ich nicht. Bleibt nur Rotwein. Nichttrinken ist ja auch keine Alternative.
Letzte Nacht, drei Uhr früh, sitze ich immer noch am Schreibtisch. Nichts als Kräutertee ist durch meine Kehle geflossen. Der nächste tote Punkt ist in meilenweiter Ferne. „Jetzt ein Glas Rotwein und dann ins Bett“, denke ich und gehe in die Küche, „ist ja noch ’ne volle Flasche da.“
Eine halbe Stunde später stehe ich an der Tankstelle und zeige der Verkäuferin meine wundgescheuerten Hände. „Der ging einfach nicht raus“, sage ich, „ich hab es mit drei verschiedenen Korkenziehern versucht, aber das Mistvieh hat sich keinen Millimeter gerührt!“ Die Verkäuferin nickt mitleidig. Ich war echt kurz davor, den Flaschenhals abzuschlagen. Konnte ja schlecht meinen Freund wecken, mitten in der Nacht: „Schatz, mach mir ma die Pulle auf!“ Und Nichttrinken war erst recht keine Alternative. Nicht, nachdem das Glas Rotwein zum Einschlafen einmal beschlossene Sache war. Ich lasse mir doch von so einem verfickten Korken nicht vorschreiben, wann ich ins Bett zu gehen habe! Außerdem hatte mich die ganze Sache mittlerweile so aufgebracht, dass ich wirklich was zum Runterkommen brauchte. Man könnte auch Baldrian schlucken, zugegeben, aber den gibt es nun mal nicht an der Tanke, was soll ich machen? „Geben Sie mir irgendwas unter zehn Euro mit Schraubverschluss“, sage ich zu der Verkäuferin. Sie kommt mit einer Flasche zurück, deren Etikett schon nach Vorschlaghammer aussieht. Goldene Schnörkel auf schwarzem Grund verbildlichen die Pirouetten, die der Stoff im Hirn dreht, bevor der Blackout kommt. Den Rest hab ich vergessen. LEA STREISAND