: Ohne Frage paradiesische Zustände
Welche Bücher ich gerne verlegen würde (1): Michael Krüger, Hanser Verlag
Liebe Redaktion,
haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief. Leider muss ich Sie um Nachsicht bitten: aber bis Ende Juni bin ich nicht in der Lage, auch nur über einen Artikel nachzudenken. Nahezu alle Wochenenden sind vergeben, alle Schreibpläne hinausgeschoben, ich komme einfach mit der lächerlich wenigen Zeit, die einem am Tag zur Verfügung steht, nicht aus. Aber vielleicht können Sie diesen Brief abdrucken.
Sie fragen danach, welche Bücher ich gerne verlegen möchte, aber im Moment leider nicht verlegen kann. Die Liste umfasst, bis gestern Abend gezählt, rund 3.500 Titel. Ist das viel? Wahrscheinlich. Deshalb wäre es an der Zeit, einen alten Plan einer Zeitschrift zu verwirklichen, in der ausschließlich noch nicht geschriebene Bücher rezensiert werden. Das ist ein altes Projekt, das in die Zeit der Aufklärung zurückreicht und später dann von Henning Ritter und mir wieder aufgegriffen wurde, leider bislang ohne die Chance einer Realisierung. Zu erstellen wäre zunächst einmal eine Liste all der Bücher, die noch geschrieben werden sollten. Damit die Autoren dann wissen, wie sie die Bücher schreiben sollen, werden wir sie vorher rezensieren. Das hat den großen Vorteil, dass Sie später keine Verrisse mehr drucken müssen. Denn wenn sich alle Autoren an unsere Rezensionen halten, würden lauter ideale Bücher entstehen. Ich glaube, es wäre zu viel verlangt, wenn wir dieses Projekt mit der taz realisieren würden. Aber vielleicht können wir das Internet dafür nutzen. Wenn jeder Hochschullehrer das Projekt beschreiben würde, das er zu schreiben aus Zeitmangel nicht in der Lage ist, käme bereits eine Liste von rund 15.000 Büchern zustande. Dann folgen die Romane. Und schließlich die Übersetzungen: eine neue Übersetzung der „Ilias“ zum Beispiel, der „Göttlichen Komödie“. Auf diese Weise könnten wir auch verhindern, dass zum Beispiel überflüssige Doktorarbeiten entstehen. Statt dass die hundertste Dissertation über „Emme Bovary“ erarbeitet wird, indem aus den hundert vorliegenden Dissertationen immer drei Sätze abgeschrieben und kommentiert werden, verlangen wir eine ordentliche Biografie von Flaubert. Wir erhielten ohne Frage paradiesische Zustände.
Alles Gute und sehr herzliche Grüße MICHAEL KRÜGER
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