: Ohne Bienchen und Blümchen
■ Lisa und Jan, Fanny und Luca entdecken die Liebe
Jan und Lisa sind im besten Vorschulalter und seit Jahren miteinander befreundet. Lisa lebt alleine mit ihrer Mutter und ihrem Meerschweinchen; Jan hat Vater, Mutter und zwei Brüder. Lisa hat eine Muschelschatzkiste, 63 Malstifte und Angst vor Traumwölfen; Jan denkt sich gerne Geschichte aus, spielt im Fußballverein und liebt Zitroneneis. Jan und Lisa sind zwei ganz normale Kinder, und sie sind Hauptfiguren in einem neuen Aufklärungsbuch.
Aufklärung? Aufklärung! Aber ohne den Mief der 60er Jahre, ohne Bienchen und Blümchen, ohne quergeschnittene Geschlechtsorgane.
Bei Frank Herrath und Uwe Sielert wälzen sich die Eltern in einer Illustration nackt und ineinander verknäult auf dem Bett, während Jan zufällig zuguckt. Und das bereits auf Seite 12, bevor pädagogische Erklärungen die lieben Kleinen verschrekken könnten. Denn in diesem Buch wird eines konsequent vermittelt: Sexualität macht Spaß und ist ein wichtiger Teil des Lebens.
Es geht in diesem Buch ums Angucken und Zugucken, ums Anfassen und Streicheln, um Lust und Liebe, ums Kindermachen und Kinderkriegen — um Sexualität eben. Es geht um Neugier und Lebensfreude, um Abneigungen und Vorlieben, um die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, sich zu freuen, gegebenenfalls „nein“ zu sagen, um Streit und Haß und Gefühle überhaupt — wie schon gesagt, um Sexualität.
Da Sexualität aber auch im Leben des Kindes nicht alles ist, wendet sich das Buch ab dem zweiten Drittel den sozialen Beziehungen der Kinder zu. Die Vor- und Nachteile von Geschwistern werden diskutiert, Eifersucht und Kränkungen thematisiert. Auch die Erziehungsversuche Erwachsener, die sich Kindern oft als eine Aneinanderreihung von Verboten darstellen, kommen zur Sprache.
Wem die kurzen Kapitel im Buch etwas willkürlich aneinandergereiht erscheinen, der findet im Begleitheft für Eltern den gesuchten roten Faden. Dieses Begleitheft ist eine Fundgrube für Material über Sexualpädagogik und Entwicklungspsychologie.
Die Autoren informieren aber nicht nur, sondern legen den Eltern nachdrücklich eine liebevolle Begleitung der sexuellen Entwicklung ihres Kindes ans Herz, die ein angstfreies und lustbetontes Leben ermöglicht. Begleiten schließt dabei das Gewährenlassen ebenso ein wie das Recht, Bedenken anzumelden.
Geradezu genial scheint mir, wie es den Autoren gelingt, ihren LeserInnen durch die detailgenauen Bilder und die knappen Texte Hunderte von Fragen in den Mund zu legen. Denn wenn beispielsweise unter der Überschrift „Da hört der Spaß auf“ zwar vermerkt wird, daß Jan im Wartezimmer nicht seinen Pimmel streicheln darf und Lisa im Café nicht furzen soll, fragt sich das vernunftbegabte Kind zwangsläufig, warum eigentlich solche Verbote bestehen. Die Autoren denken nicht daran, den Eltern eigene Antworten zu ersparen.
Lisa und Jan ist ein klug konzipiertes Buch, das man sicherlich nicht nebenbei lesen kann und keinesfalls in einem Rutsch. Irritierend sind lediglich seine Illustrationen: Auf der einen Seite erreichen sie eine fast fotografische Detailgenauigkeit, andererseits sind gerade die Gesichter von einer merkwürdigen Häßlichkeit.
Wie eine Fortsetzung von Lisa und Jan in Romanform liest sich Gudrun Mebs Buch Der Mond wird dick und wieder dünn. Eine Geschichte vom Liebhaben. Lisa und Jan sind lediglich ein paar Jahre älter geworden und heißen hier Fanny und Luca. Beide sind das erste Mal richtig verliebt — ineinander.
Alles fängt so schön an: Erst will Luca Fanny beim Theaterspielen nicht küssen, obwohl er doch die Prinzessin und sie der Frosch ist. Aber dann setzt er sich neben sie, und wir erfahren aus Fannys Sicht, wie sich ihre Freundschaft langsam entwickelt — wie es im Bauch kribbelt, wenn sie „Luca“ denkt, wie sie immer wieder auf seinen Anruf hofft.
Schritt für Schritt gewinnen Fanny und Luca Mut, sich auszuprobieren. Händchen halten, sich streicheln, zärtlich den Namen des anderen aussprechen — das Leben ist spannend geworden für Fanny.
Doch dann kommen die Sommerferien und eine kalte Dusche: „Mit Mädchen gehen ist blöd. Das sagt Heiner auch“, verkündet Luca plötzlich der verdutzten Fanny. Die ganzen Sommerferien lang hat sie sich auf das Wiedersehen gefreut — und nun diese Abfuhr!
Fanny ist verzweifelt und sucht die Schuld bei sich. Glücklicherweise hat sie verständnisvolle und phantasiebegabte Eltern, die sie in Ruhe trauern lassen, ihr andererseits aber auch Anregungen geben, wie sie die innere Leere ausfüllen kann. Weinen, Nachdenken, Ablenkungen, aber auch das Ausleben von ihren Aggressionen helfen Fanny, ihren Liebeskummer so weit zu überwinden, daß sie Luca am Ende signalisieren kann: Ich mag dich trotzdem.
Der Mond wird dick und wieder dünn ist ein schaurig-schönes Buch. Schön, weil es feinfühlig das Auf und Ab einer neuen Liebe beschreibt; schaurig, weil auch heute der Umgang mit Gefühlen zwischen Jungen und Mädchen so unterschiedlich ist: Während Fanny an ihrem Leiden wächst, zieht Luca scheinbar unbetroffen durch die Pferdeställe und wartet, bis Fanny sich mit der Situation neu arrangiert hat.
So wie der Mond immer wieder dick wird, könnte auch die Liebe der Kinder wieder aufflackern, suggeriert der Titel des Buches. Hoffen wir, daß der Junge Luca wenigstens ein bißchen was dazugelernt hat. Kristine Kretschmer
Gudrun Mebs: Der Mond wird dick und wieder dünn. Eine Geschichte vom Liebhaben. Verlag Sauerländer, Aarau und Frankfurt am Main 1991, 108 S., 24,80 DM
Frank Herrath/Uwe Sielert:
Lisa & Jan. Ein Auflärungsbuch für Kinder und ihre Eltern. Bilder von Frank Ruprecht. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 1991, 40 S., 24,80 DM
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