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Ohne Aberglaube kein Glaube

■ Der italienische Wahrsager Mago Johannes im Gespräch über die Reste archaischer Denkweisen in Religion und Astrologie/ Seine These: „Elemente des Aberglaubens lassen sich in jeder Religion haufenweise finden“

Mago Johannes ist Wahrsager und bannt das Böse. Er stammt aus der Hexenmeister-Hochburg Turin, arbeitet aber in einer Kleinstadt nördlich von Neapel.

taz: Sie beuten, nach Ansicht von Kritikern des Aberglaubens, die Neigung unglücklicher Menschen zum Griff nach dem Strohhalm aus. Stimmt das?

Mago Johannes: Das kommt darauf an, was man unter Aberglauben, unter Unglück, unter Strohhalm und unter Ausbeuten versteht. Der Autohersteller, der seine Autos mit Hilfe schöner Frauenbeine in der Werbung verkauft, beutet Frauen und sexuelle Vorstellungen aus, der Priester in der Kirche die Angst vorm Jenseits, der Politiker den Wunsch nach Ordnung. In dieser Hinsicht beute auch ich aus. Ich wehre mich aber dagegen, das in meinem Beruf als unmoralisch anzusehen. Die Frage nach der Zulässigkeit von Aberglauben ist typisch für Menschen, die selbst am Mangel eigener Kraft zu glauben leiden.

Kirchenvertreter sehen einen Riesen-Unterschied zwischen Glauben und Aberglauben.

Das tun sie, aber zu Unrecht. Oder weil sie ihren eigenen Glauben nie richtig durchschaut haben. Jeder religiöse Glaube ist zum Großteil Aberglaube. Elemente des Aberglaubens lassen sich in jeder Religion haufenweise finden. Nehmen wir den Katholizismus. Wie steht es da mit den Heiligen? Kein Jesus und kein Petrus und kein Paulus haben die Kanonisierung jemals vorgesehen oder auch nur zugelassen. Trotzdem werden die Heiligen angebetet und sogar kirchlich sanktioniert – aufgrund von angeblichen Wundern, bei denen man sich manchmal fragen muß, ob es nicht regelrechte diplomatische Wunder sind, wie die Seligsprechung des Opus Dei-Gründers Escrivar im vergangenen Jahr.

Braucht die katholische Religion diese Heiligen?

Das ist heute fraglich. Im frühen Mittelalter, als sie die alten, heute „heidnisch“ genannten Vielgötterreligionen ablöste, brauchte sie die Heiligen jedoch dringend. Sie mußte nämlich bei Römern wie Germanen die vielgestaltige Welt jenseitiger Herrscher durch andere Herrscher im Jenseits ersetzen – ebenso vielgestaltig und beliebig vermehrbar. Aus den Göttern wurden Heilige, nur der Göttervater blieb als oberster Herrscher übrig und wurde dem monotheistischen Alleingott angenähert. Die anderen Götter wurden zu Heiligen. Es gibt für jeden Zweck einen, genauso wie es früher bei den Göttern war: einen Heiligen für die Bauern und einen für verlorene Gegenstände, eine Heilige für die Liebe und eine für die Armen. Sogar fürs Autofahren haben sie einen: Christopherus. Es ist im übrigen in der Religionsgeschichte überall nachweisbar, daß bei der Ablösung einer Religion durch eine andere deren wesentliche Elemente absorbiert und mutiert werden – um den Rest dann auszugrenzen und als Aberglauben abzutun. Das hat der Islam ebenso getan wie der Buddhismus oder der Konfuzianismus. Die Römer haben das perfektioniert, indem sie nach den griechischen, ägyptischen und indischen Göttern schließlich auch den hebräischen zu adoptieren versuchten – mit dem Erfolg, daß der sich in Form des Christentums zum Alleinherrscher aufgeschwungen hat.

Der Protestantismus hat doch aber versucht, die Heiligen abzuschaffen. Ein Schritt hin zum Glauben ohne Aberglauben?

Das wäre es vielleicht gewesen, wenn der Protestantismus nicht seinerseits Ersatz für die abgeschafften Heiligen geschaffen hätte – etwa mit der unseligen Maßgabe, daß der Landesherr gleichzeitig Stellvertreter Gottes sei. Das erfordert meines Erachtens noch mehr abergläubische Einbildungskraft als der Glaube an Katzenkot oder Sternenkonstellationen.

Welche psychologische Ursache hat der Aberglaube und, wie Sie sagen, auch der Glaube?

Ich denke nicht, daß man psychologische Kategorien anwenden kann. Glauben ist ein archaischer Wesenszug des Menschen und vielleicht auch der Tiere. Glauben kommt vor Wissen, ist grundlegender und existenzbestimmender. Man kann unendlich viele Dinge wissen, die allesamt nach unseren rationalen Vorstellungen beweisbar sind, und doch richtet man sich nicht nach ihnen. Man tut, was man glaubt und nicht, was man weiß.

Ist Wahrsagerei nicht auch nur Hokuspokus?

Der Wahrsager hat die Aufgabe, zunächst das Leben, die Lebensumstände, die Hoffnungen und Erwartungen zu erkunden. Dann wird er dem Menschen eine Projektion seines Lebens im Gesamtuniversum darlegen und mögliche Zukunftsentwürfe vorschlagen, aus denen sich wiederum Prognosen für die weitere Entwicklung ableiten lassen. Wenn wir von einem extraterrestrischen Einfluß auf die Abläufe ausgehen, hat das auch keine größere Bedeutung, als wenn ein Priester das Schicksal in Gottes Händen wähnt. Er kann diesen Gott nicht exakter beschreiben, als wir die Sternenkonstellation und ihre durch Schwer- und Magnetkräfte sowie andere Aspekte gesteuerten Einflüsse darstellen. Interview: W. Raith

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