Offshore Windkraftanlagen: Nebenwirkung – tote Wale
Der Bau von Windanlagen auf hoher See gefährdet Wale. Im Umweltministerium arbeitet man an einem faulen Kompromiss.
BERLIN taz | Schweinswale erinnern mit ihrem scheinbaren Grinsen an freundliche Flipper. Doch die Liebe für den Phocoena phocoena, so der wissenschaftliche Name des Gewöhnlichen Schweinswals, hält sich in manchen Kreisen in gewissen Grenzen. Denn der Schweinswal stört beim Umbau der deutschen Energieversorgung.
Nach europäischem und deutschem Naturschutzrecht ist das bis zu 1,80 lange Tier eine geschützte Art, weshalb er nicht getötet oder in seinem Lebensraum gestört werden darf. Das aber wird der Schweinswal so massiv, dass nach Meinung des Bundesamts für Naturschutz in der Ostsee sein Überleben extrem gefährdet ist und in der Nordsee sein „Erhaltungszustand als ungünstig-unzureichend“ eingeschätzt wird. Ab Montag beraten daher Anrainerstaaten von Nordatlantik, Nord- und Ostsee im englischen Brighton über den Schutz des Kleinwals.
Größter Feind des Schweinswals war bislang die Fischerei. Jedes Jahr ersticken Hunderte Schweinswale in Stellnetzen. Jetzt ist für die Meeressäuger eine neue Bedrohung akut: Windkraftanlagen. In Nord- und Ostsee errichten Unternehmen auf Wunsch und mit Unterstützung der Bundesregierung gigantische Windkraftanlagen. Deren Bau vertreibt und stört nachweislich die geschützten Schweinswale.
Schweinswale flüchten vor dem Baulärm
Der Abschlussbericht vom Juli 2012 der Begleitforschung zum Windpark Alpha Ventus in der Nordsee spricht nüchtern davon, „dass die bei der Rammung der Fundamentpfähle emittierten Schallimpulse in einem weiten Umfeld zu einer signifikanten Abnahme der Habitatnutzung der Schweinswale geführt haben.“ Mit anderen Worten: „Beim Bau der Windanlagen haben Zählungen gezeigt, dass der Schweinswal großräumig aus der südlichen Deutschen Bucht vertrieben wurde.“ Das sagt Meeresbiologe Stefan Bräger, beim Deutschen Meeresmuseum in Stralsund zuständig für die Schweinswalforschung.
Beim Bau von Offshore-Windanlagen werden die Pfeiler mit Hunderten Schlägen stundenlang in den Meeresgrund gerammt. Die daraus entstehenden Schallwellen sind extrem laut, was für jedes Lebewesen im Meer je nach Nähe zur Baustelle tödlich, gesundheitsschädlich oder extrem unangenehm ist.
Ginge es nach dem Naturschutzrecht, dürfte genau das nicht passieren. Im Hause von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) arbeiten die Ministerialen der Abteilung für Naturschutz mit den Kollegen der erneuerbaren Energien daher an einer Schallstrategie. Kritiker bemängeln, dass diese weniger dem Schutz des Schweinswals dient als dem Versuch, das Naturschutzrecht so weit zu dehnen, dass die geplanten Windkraftanlagen ohne nachweisbaren Rechtsbruch gebaut werden können.
Obwohl Störungen des Schweinswals rechtlich verboten sind, heißt es in der Schallstrategie, die der taz vorliegt, vielsagend: „Der Begriff der Störung bedarf für die weitere rechtliche Einschätzung einer Operationalisierung.“ Die Verfasser der Schallschutzstrategie wollen daher, dass „ein vereinfachtes Verfahren zur Berücksichtigung der durch die Rammungen verursachten Störungen auf die Schweinswale angewandt [wird].“
Startender Airbus unter Wasser
Dabei sind die Auswirkungen des Lärms eindeutig: „Bei Schweinswalen sind in der Nordsee Fluchtreaktionen und Meldeverhalten bis in über 20 km Entfernung von der Rammung nachgewiesen worden“, heißt es in der Schallstrategie. Die „impulshafte Schallbelastung kann bei der resultierenden Fluchtreaktion von Mutter-Kalb-Paaren zu einem Verlust des Kontakts zum Kalb führen“, gibt die Schallstrategie ebenso zu wie die Tatsache, dass Schweinswale weniger Lärm vertragen als der für sie erlassene Grenzwert.
Erst 2008 hatte das Bundesumweltministerium einen Grenzwert herausgegeben. Die Schallwerte bei Rammarbeiten im Meer dürfen danach 160 dB in 750 Meter Entfernung zur Schallquelle nicht überschreiten. Das klappte bis vor Kurzem jedoch nicht. Die Begleitforschung zu Alpha Ventus hat ergeben: „Der Vorsorgewert von 160 dB wurde erst in einer Entfernung zwischen 2 km und 3 km erreicht.“
In 750 Meter Entfernung von den Rammarbeiten haben die Forscher „zwischen 167 und 170 dB re 1 µPa SEL“ gemessen – doppelt so laut wie ein startender Airbus aus 300 Meter Entfernung an Land. Seitdem setzen die Windparkbauer die Technik des „Großen Blasenschleiers“ ein, um den Grenzwert einzuhalten. Aufsteigende Luftblasen aus einem Ring von Schläuchen schirmen dabei den Schall ab, sodass sich der Lärm verringert.
Lange laute Töne
Ungewiss ist jedoch, ob der Grenzwert überhaupt ausreichend ist, um Schäden an Tieren zu verhindern. Damit die Schweinswale wegschwimmen, werden sie deshalb vor Beginn der Bauarbeiten mit lauten Geräuschen vertrieben. Die Geräte für diese sogenannte Vergrämung „sind kaum leiser als die Rammarbeiten, sie sind nur länger laut, also nicht so knallartig, was eher organische Schäden erzeugt“, sagt Meeresbiologe Bräger.
Auch die Vergrämung widerspricht dem Naturschutzrecht. „Wir tragen das mit, weil sie noch Schlimmeres vermeidet“, sagt Henning von Nordheim, wissenschaftlicher Direktor für Meeresökologie im Bundesamt für Naturschutz. Von Nordheim drängt darauf, dass eine „bessere Technik zum Einsatz kommt, die den Schall gar nicht erst entstehen lässt.“
Sein früherer Einsatz für den Schweinswal hat immerhin dazu geführt, dass das Problembewusstsein in Politik und Industrie gestiegen ist. Etliche Unternehmen haben inzwischen Techniken entwickelt, die den Rammlärm dämmen. Vorgeschrieben ist deren Einsatz aber bisher nicht.
Kein Naturschutzbewusstsein bei Trittin
Dabei ist der Grenzwert von 160 dB schon ein großer Fortschritt gegenüber den Anfängen der deutschen Offshorewindpläne. Als der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) noch den Ausbau der Windenergie auf dem Meer vorantrieb, interessierte sich niemand so recht für die Schweinswale. „Der Industrie wurden der Rammschall und die Auswirkungen auf die Schweinswale schlichtweg nicht als Problem verkauft“, sagt Meeresbiologe Karsten Brensing von der Whale and Dolphin Conservation Society.
Ob im Grünen-geführten Bundesumweltministerium überhaupt ein ausgeprägtes Bewusstsein für den Naturschutz herrschte, bezweifeln manche Naturschützer. Ein damaliger führender Mitarbeiter des Ministeriums mit grünem Parteibuch sagte zu den Auswirkungen der Bauarbeiten auf die Schweinswale der taz: „Wenn sie den Lärm nicht vertragen, müssen sie eben woandershin schwimmen.“
Diese Geisteshaltung findet sich in der Schallschutzstrategie des Ministeriums wieder. Dort heißt es: „Um populationsbezogene erhebliche Störungen in der deutschen Nordsee jetzt und künftig auszuschließen, müssen insbesondere ausreichend Ausweichmöglichkeiten für die Schweinswale zur Verfügung stehen.“ Das Umweltministerium verabschiedet sich damit von der Verantwortung für den Schweinswal als streng zu schützende Art. Denn laut Schallstrategie geht es nur noch darum, dem Schweinswal Fluchtwege offenzuhalten.
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