■ An den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Joschka Fischer:: Offener Brief
betr.: „Joschka Fischers persönliches Asylrecht“, taz vom 7. 6. 00
Sehr geehrter Herr Minister,
mit Ungläubigkeit und Empörung haben wir Ihre Zusage an die israelische Regierung, Milizionäre der Südlibanesischen Armee SLA mit ihren Familien in Deutschland aus „humanitären Gründen“ aufnehmen zu wollen, zur Kenntnis genommen. Diese Zusage ist unserer Meinung nach in keiner Weise ein hilfreiches Instrument im Friedensprozess des Nahen Ostens, und wir können uns Ihre Entscheidung nur mit mangelnder Sachkenntnis erklären.
Wie Sie vielleicht nicht wissen, wurde die SLA 1976 während des libanesischen Bürgerkrieges als Miliz der christlichen Maroniten von Saad Haddad gegründet. Seit 1978 konspirierte sie mit den israelischen Streitkräften (übrigens gab es schon in den Sechzigerjahren in Israel Pläne, die Maroniten zu unterstützen, um ein christliches Libanon zu schaffen) gegen ihre eigenen Landsleute. Die Milizionäre der SLA waren maßgeblich an den Massakern in den Palästinenserlagern von Sabra und Shatila 1982 beteiligt, bei denen tausende von unschuldigen Zivilisten erbarmungslos abgeschlachtet wurden.
Die, die diese Gräueltaten überlebten, leiden bis heute unter ihren Verstümmelungen oder sind dauerhaft von den Ereignissen traumatisiert. Und nicht zu vergessen, die zahlreichen Kinder, die Eltern oder Geschwister verloren haben.
Die SLA hat im Südlibanon in der so genannten „Sicherheitszone“ gemeinsam mit den israelischen Soldaten die noch dort lebende libanesische Zivilbevölkerung jahrelang terrorisiert, zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gehen auf ihr Konto. Der Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Südlibanon war sicherlich für die Kämpfer der SLA ein lange gefürchteter Zeitpunkt, denn sie nahmen zu Recht an, dass sie, um einer Verurteilung im Libanon zu entkommen, ins Ausland gehen müssen.
Sicherlich werden Sie mit uns übereinstimmen, dass es mehr als wünschenswert ist, dass der Friedensprozess im Nahen Osten fortschreitet. Europa und auch Deutschland haben dabei historisch eine große Verantwortung.
Dass die Bundesrepublik sich aktiv einmischt, ist begrüßenswert – zu lange wurde hier geschwiegen. Dass aber ausgerechnet die Aufnahme von Kollaborateuren, Unterdrückern und Folterern hier die geeigneten Mittel sind, ist für uns unakzeptabel. Zudem kommen sie aus einem sicheren Drittland, was bei „normalen“ Asylbewerbern in der Regel eine Abschiebung in jenes Drittland zur Folge hat.
Für uns stellt sich hier auch die Frage, wie die Mitglieder der SLA hier in Deutschland aufgenommen werden. Welchen Aufenthaltsstatus bekommen sie? Müssen sie einen Asylantrag wegen politischer Verfolgung stellen und kommen in ein Asylverfahren? Werden sie in Asylunterkünften wohnen? Oder aber bekommen sie als Kontingentflüchtlinge im Rahmen von humanitären Hilfsmaßnahmen die sofortige Asylanerkennung?
Wie Ihnen allerdings bekannt sein dürfte, sind viele Asyl suchende Palästinenser und Südlibanesen gerade vor dem Terror der SLA aus dem Libanon geflohen – diese Asylgesuche wurden häufig abgelehnt und die Menschen in den Libanon zurückgeschickt! Und jetzt sollen deren Folterer bei uns aufgenommen werden. Dies ist eine völlig widersinnige politische Entscheidung und für die arabischen Staaten – und insbesondere für die Palästinenser – ein Affront! Auch diese Seite sollte man, wenn es um den Friedensprozess geht, berücksichtigen.
Die Mitglieder der SLA gehören entweder vor ein libanesisches Gericht oder, wie es die Schirmherrin unseres Vereins, die israelische Menschenrechtlerin Felicia Langer, fordert, „diese Söldner müssen vor ein Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gestellt werden“ – und ganz bestimmt nicht unter den Schutz der Bundesregierung! [...] MARIA ZÖLLNER-HESPELER,
„Flüchtlingskinder im Libanon“ e.V., Reutlingen
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