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Offener Brief an Guttenberg"Die Ungerechtigkeit macht uns sauer"

Merkel soll eine Diskussion über Guttenbergs Glaubwürdigkeit zulassen. Das sagt Johannes Staemmler, Doktorand und Mitverfasser eines offenen Briefs.

"Alles Gerede von der 'Bildungsrepublik Deutschland' wird karikiert, wenn diese Debatte nicht geführt wird", sagt Johannes Staemmler. Bild: reuters
Interview von Niklas Wirminghaus

taz: Herr Staemmler, Sie haben mit vier andere Doktoranden einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin veröffentlicht. Woher kam die Idee?

Johannes Staemmler: Der Ursprungsmoment war die Debatte im Bundestag. Da haben wir uns gesagt: Das kann doch wohl nicht wahr sein. Ist das jetzt die Debatte und vor allem auch die abschließende Reaktion der Regierung gewesen?

Was fordern Sie von Angela Merkel?

Bild: Hertie School of Governance
Im Interview: 

JOHANNES STAEMMLER, 28, promoviert an der Freien Universität und der Hertie School of Governance in Berlin in Politkwissenschaft. Sein Thema: Zivilgesellschaft in strukturschwachen Regionen.

Wir erwarten von der Kanzlerin, dass Sie eine offene Debatte über Glaubwürdigkeit und Vertrauen zulässt. Das ist für uns als Wissenschaftler wichtig, weil wir entlang diesen Kriterien bewertet werden. Alles Gerede von der "Bildungsrepublik Deutschland" wird karikiert, wenn diese Debatte nicht geführt wird.

Ist Guttenbergs Rücktritt eine Bedingung dafür, dass diese Debatte geführt werden kann?

Das ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung. Aber es würde vieles vereinfachen. Die Anwesenheit von Herrn Guttenberg hindert uns, in der Sache weiterzukommen.

Im Brief heißt es, die Kanzlerin "verhöhne" die Doktoranden. Was meinen Sie damit?

Sie lässt einen ihrer tatkräftigsten und populärsten Mitarbeiter ein Vergehen durchgehen, wofür vom Schüler bis zum kurz vor dem Ruhestand stehenden Angestellten jedem drastische Konsequenzen drohen - wenn man die Ideen von anderen klaut. Diese ungerechte Behandlung macht uns so sauer.

Geht es bei Ihrer Initiative nicht nur um Selbstschutz und Eigennutz des Wissenschaftsstandes?

Es geht um Selbstschutz, weil hier die Glaubwürdigkeit unserer Qualitätskriterien infrage gestellt werden. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, ob Titel nur für gesellschaftlichen Status oder für wirkliche wissenschaftliche Leistungen vergeben werden.

Der Betreuer einer Doktorarbeit ist zugleich auch Prüfer. Stimmt dieses Prinzip noch?

In anderen Ländern werden wissenschaftliche Arbeiten durch eine vom Doktoranden unabhängige Kommission bewertet. Darüber sollte man auch bei uns nachdenken. Die enge Beziehung von Doktorvater und seinem Zögling ist ein Relikt unserer Wissenschaftsgeschichte.

Guttenberg will seine Dissertation quasi nebenher geschrieben haben. Geht das nicht vielen Doktoranden so?

Das Leben von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Promovenden ist selbst gewähltes Prekariat. Arbeit und Promotion zu vereinbaren ist nicht immer einfach. Trotzdem passieren einem solche Fehler nur, wenn man sie vorsätzlich macht oder seine Promotion schlafend schreibt. Anders kann man nicht erklären, wie jemand Erstsemester-Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens vergisst.

Wissen Sie, ob die Universität Ihre eigene Dissertation auf Plagiate untersuchen wird?

Bis vor einer Woche wusste ich das nicht. Ab jetzt nehme ich das stark an.

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6 Kommentare

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  • RF
    Rosemarie Finke-Thiele

    Vielen Dank an die Initiatoren des Offenen Briefes.

     

    Niemand hat eine "Hetzjagd" gegen den Ex- Verteidigungsminister geführt!

    In Deutschland gelten immer noch demokratische Grundrechte, also auch die freie Meinungsäußerung.

     

    Ein OFFENER Brief ist ein legitimes Mittel, deutlich UND sachlich Stellung zu beziehen.

    Um es mal militärisch auszudrücken : So weit kommt es noch, dass sich Demokraten "den Schneid abkaufen" lassen!

  • S
    SWok

    Die überlaute Empörung der deutschen Wissenschaft mutet seltsam an: Wie ist es möglich, daß jemand mit "summa cum laude" bewertet wird, der eine Arbeit einreicht, die zu einem Großteil aus Plagiaten besteht? Gerade das von vielen Wissenschaftsvertretern immer wieder vorgebrachte Argument, die Wissenschaft nehme durch Herrn zu Guttenbergs Doktorarbeit Schaden, ist fast schon komisch: Der Schaden, der der deutschen Wissenschaft durch die offensichtliche Unfähigkeit von wissenschaftlichen Personen und Institutionen (hier der Doktorvater von Herrn zu Guttenberg und der Promotionsausschuß der Uni Bayreuth), ein offenkundiges Plagiat nicht als solches zu erkennen, entsteht, ist weit höher als der Schaden, den Herrn zu Guttenbergs Arbeit für sich genommen anrichtet. Auch durch den Umgang mit dem offensichtlichen wissenschaftlichen Versagen der Universität Bayreuth (nach dem Motto "Kein Fehler bei uns, alle Fehler bei Herrn zu Guttenberg") schädigt die deutsche Wissenschaft sich selbst. Wobei dieser Umgang mit dem eigenen Versagen erstaunliche Parallelen zu Herrn zu Guttenberg aufweist: Hier hat dieser wohl zu gut von der Wissenschaft gelernt...

  • D
    Doktor

    @Kurt Kuhnert:

    Ich bin da völlig bei Ihnen. Es ist ohnehin schleierhaft für mich, wie man auf die Idee kommen kann, Textpassagen einer Doktorarbeit zu googeln und nach Fehlern zu suchen. Vielleicht ist dies aber auch die Aufgabe eines Vertrauensdozenten der Friedrich-Ebert-Stiftung. Etwas sarkastisch und vielleicht auch etwas übertrieben, aber nicht minder übertrieben war die Hexenjagd der vergangenen Wochen. Als hätte das Land und die Welt keine anderen Probleme dieser Tage.

     

    Ich selbst als "Doktortitelträger" fühle mich jedenfalls nicht "verhöhnt" und kenne auch persönlich niemanden...und das unabhängig von der Farbe der Partei, der man sich nahe sieht. Man kommt sich ja gerade so vor, als wären Doktoranden bessere Menschen und bräuchten besonderen Schutz. Auf die Knie fallen braucht zumindest vor mir niemand!

     

    Keine Frage, Fehler sind zu ahnden. Allein schon wegen der Vorbildfunktion unserer Gesellschaft. Aber wo bitte ist die Vorbildfunktion oder auch "Sitte und Anstand", wenn es darum geht, bei anderen fieberhaft Fehler zu suchen und sie bei der erstbesten Gelegenheit öffentlich zu demontieren und "wie eine Sau durchs Dorf zu treiben"?

  • DH
    Dr.plag. Helge von und zu Manteuffel

    Wir bekommen hier ein wichtiges psychologisches Phänomen vorgeführt:

     

    Guttenberg hat von klein auf gelernt, daß gesellschaftlicher Status und Reichtum einen fast unantastbar macht.Welcher Lehrer wagte es klein K-T ernsthaft in Frage zu stellen?

     

    K-T war ein Leben lang nackt,aber alle unterhielten sich nur über seine schönen Kleider. Er war sich sicher. er wird nie in Frage gestellt.

    deshalb behauptet er bereits in seiner Biographie (bis 2002), daß er Dr. ist und ein Prädikatsexamen abgelegt hat.

     

    http://www.schweizmagazin.ch/news/ausland/6184-Guttenberg-Jetzt-auch-noch-Titelmissbrauch.html

     

    http://web.archive.org/web/20051219060834/http://www.zuguttenberg.de

     

    Prof Häberle gibt indirekt zu, daß er die Arbeit nicht gelesen hat. Scheint auch nicht nötig gewesen zu sein, denn großzügiges Sponsoring der Uni und die geschmeidige Art von Guttenberg bürgen für Qualität.

  • KK
    Kurt Kuhnert

    Machen wir uns nichts vor, würde es sich um einen grünen oder SPD-Verteidigungsminister handeln, der die sofortige Einstellung des deutschen Einsatzes in Afghanistan fordert, würde die die jetzigen Anti-Guttenberg-Protagonisten nicht im entferntesten so vehement und völlig entgrenzt über den Mann herfallen.

  • H
    Haha

    Warum ist eigentlich niemand sauer auf Professoren, also die angeblichen Könige der Akademiker, die ein "Summa cum Laude" auf eine aus Zeitungsartikeln und Kopien zusammengebsatelte Doktorarbeit geben? Man sollte sich fragen wer all die aus Steuergeldern finazierten Experten und Helden der Wissenschaft sind, die heute von Universitäten über Wirtschaftsforschungseinrichtungen bis Friedensforschungsinstituten ihre Weisheiten verkünden. Wenn ich mir die Gegenstudie zu Sarrazin durchlese, dann sehe ich zum Beispiel eine Studie deren Ergebnis fest stand bevor die erste Zeile geschrieben war. Das Ding ist so mit heißer Nadel gemacht, daß einer Überprüfung wissenschaftlicher Art nur das Lachen über so dillentantische Art zu arbeiten im Wege steht. Darauf hätte es sicher zwei Doktoren und ein dreifaches Summa cum Laude gegeben, wenn es nötig gewesen wäre. Ein Freiherr der CSU bekommt eben in Bayreuth seine Sporen andere für die bunte Fahne eben ihr Schulterklopfen an der HU Berlin. Nicht umsonst wandern die besten der deutschen Akademiker ins Ausland aus oder arbeiten in der Wirtschaft. Es stinkt bei weitem nicht so sehr in Guttis Doktorarbeit wie an den Unis. Der Doktor ist weg, die Unis bleiben wie sie sind.

    Wenn nun aber jemand wie Jürgen Trittin "Sitte und Anstand" gefährdet sieht und sich Sorgen um das "Vertrauen in die Institutionen unseres Landes" macht, dann ist das nur noch zum Lachen oder zum angeekelten Abwenden. Die umbenannte SED sorgt sich jetzt nicht um die zehntausende Toten ihrer Diktatur sondern man trifft die Leute neben Kommunismuskongressen bei der Sorge um die "politische Kultur des Landes". Stalin, Mao, Pol-Pot, Millionen Tote-Schwamm drüber. Copy-Paste ist die echte Gefahr. Da könnte sich auch die NPD Sorgen um die Integration der türkischen Mitbürger machen. Es wäre genauso glaubwürdig. Ich warte noch auf GAZ-Gerd und Öl-Joschka die als bekannte Wirtschaftsexperten und politische Großleister ihre tiefe Sorge um das persönliche finazielle Auskommen des Bürgers zum Besten geben, wenn Gutti nicht abtritt.