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■ Offener Brief an Daniel Cohn-Bendit nach seinem Plädoyer für einen Bundeswehreinsatz in BosnienLieber Dany,

Du hast Dich in der taz vom 7.12. für einen Einsatz der Bundeswehr in Bosnien ausgesprochen – und damit auch dem Beschluß der Bundesversammlung von Bündnis 90/Die Grünen vom letzten Wochenende in Berlin, in dem Bündnis 90/Die Grünen ihre grundsätzliche Ablehnung deutscher Militäreinsätze in Bosnien nochmals bestätigten, widersprochen.

Du hast zwei Argumente aufgeboten, die eine Antwort verdienen. Erstens: Der Pazifismus sei ein Bestandteil des bundesdeutschen Mainstreams. Es sei daher unkritisch und konformistisch, pazifistisch zu denken. Wo lebst Du eigentlich? Hast Du vielleicht zu viele französische Kurzkommentare gelesen, die die unsäglich verlogene Behauptung breittreten, der westeuropäische Pazifismus sei schuld an der Appeasement-Politik gegenüber Hitler und daher mitschuldig am Zweiten Weltkrieg?

Auch heute ist das Gegenteil der Fall: Nicht Pazifismus, sondern ganz traditionelle, militärorientierte Außenpolitik der westeuropäischen Großmächte, einschließlich der Bundesrepublik, haben die jugoslawische Krise und die serbische beziehungsweise kroatische Aggression mitverschuldet und erschweren noch immer die Beendigung des Konflikts und die Suche nach einer konstruktiven friedlichen Lösung.

Zweitens: Weil Bosnien mitten in Europa liegt, „ist es Aufgabe der Europäer, das Haus Europa in Ordnung zu halten“. Wie Du genau weißt, ist „Europa“ ein umkämpfter Begriff: Westeuropa begreift sich als „Europa“, ebenso Mittel- und Osteuropa, das „nach Europa“ will, aber auch die baltischen Staaten, Rußland, die GUS oder die Türkei, Malta, Zypern und die Maghreb- Staaten. Du weißt doch auch, daß es in der EU starke Kräfte gibt, die „Europa“ kreuzzugsmäßig definieren: als Blockbildung gegen die Länder islamischer oder ostchristlicher Tradition.

Abgesehen von der unheilvollen Rolle dieser „abendländischen“ Ideologie gerade auch im ehemaligen Jugoslawien, speziell auch in Bosnien-Herzegowina: eine friedensfähige gesamteuropäische Ordnung ist nur durch die Überwindung dieser historischen Spaltungen zu erreichen, also nur unter Einschluß etwa von Rußland oder Serbien und Montenegro oder auch der Türkei beziehungsweise der Mittelmeeranrainer insgesamt, einschließlich Israel und Palästina. Ohne die Architektur einer solchen gesamteuropäischen Friedensordnung zu diskutieren, können wir nicht verantwortlich das „europäische Haus“ als Argument in der Sicherheitspolitik anführen. Oder sollen wir uns etwa in die Front der „Paneuropäer“ vom Schlage des persönlich ja ganz schätzenswerten Otto von Habsburg und seiner Anhänger einreihen, die das „Abendland“ nach Osten erweitern und dort gegen „das Fremde“ verteidigen wollen?

Warum bestreitest Du im übrigen der UNO die Aufgabe, weltweit Frieden zu halten? Glaubst Du wirklich, daß eine Aufteilung der Welt in Zuständigkeitszonen mit „Eingriffsverbot für fremde Mächte“ im Sinne der Monroe- Doktrin der USA diese Welt friedensfähiger machen wird?

Und was begründet Deinen einfachen Glauben, eine Militärintervention der „richtigen Seite“ – der USA in Afghanistan oder der afrikanischen Staaten in Angola – würde die Kriege, die uns das Kalte-Krieg-System hinterlassen hat, endlich beendigen können?

Der schwierigere Weg der UNO-Vermittlung und des UNO- Monitoring dürfte immer noch mehr Hoffnung für die vom Krieg gequälten Menschen dieser Länder enthalten, besonders wenn endlich den Komplizen der jeweiligen aggressiven Kräfte und überhaupt den kriminellen Waffenhändlern im Westen das Handwerk gelegt wird. Die Alternative zur UNO ist immer noch eine bessere UNO und nicht eine faktische Aufteilung der Welt in Zonen unterschiedlicher Sicherheit!

In der Tat, lieber Dany, kannst Du in dieser Frage nicht beanspruchen, für unsere Partei zu sprechen, die sich die Mühe eigener Gedanken und Positionen macht. Du vertrittst vielmehr in unserer Partei die herrschenden Gedanken, den Konsens des gesellschaftlichen Mainstreams und geißelst jedes Gegen-den-Strich-Denken gnadenlos als Abweichung von der gleichgerichteten „Normalität“. Nachdem sich Bündnis 90/ Die Grünen jetzt einige Mühe gegeben hatten, eine breit getragene Position zur Politik der Bundesregierung gegenüber Bosnien- Herzegowina zu bestimmen, nutzt Du die nächste Gelegenheit dazu, als Medienstar gegenzuhalten: Daß die Partei sich fast vollständig hat verständigen können, soll in den Medien „gelöscht“ werden durch Deine individuelle Wortmeldung als bekannter Querdenker.

Dabei hast Du real nur altbekannte Klischees des herrschenden militaristischen Denkens anzubieten – mit dem Unterschied, daß die wirklich Herrschenden auch noch daran denken, was sie mit ihrem Handeln anrichten würden, und daher auch noch als zögerlich und feige erscheinen. Während Du Dich um die realen Folgen des von Dir befürworteten Handelns einfach nicht kümmerst. Hauptsache, Du hast ein gutes Gefühl, weil Du das aus Deiner Sicht Richtige gefordert hast.

Lieber Dany, die Partei, die uns aufgestellt hat und von deren Willensbildungsprozessen Du so wenig hältst, hat mit ihrem Beschluß von Sonntag ihre Position klargestellt. Sie hat dabei auch auf diejennigen Rücksicht genommen, die in der Abwägung der Mittel in einer katastrophalen Situation im einzelnen glauben, hier helfe wirklich nur noch militärische Gewaltanwendung.

Du gehst viel weiter: Du machst aus der Feinderklärung gegenüber den Serben und der Befürwortung einer hinreichenden militärischen Abschreckung konstitutive Momente der Neuordnung eines Europas, das Du zwar multikulturell begreifst, aber nicht einmal klar von den wiederauflebenden Kreuzzugsideologien abgrenzt. Das hat dann mit bündnisgrüner Politik nichts mehr zu tun.

Deswegen sehen wir uns veranlaßt, genau dieses gegenüber einer womöglich durch Dich verwirrten Öffentlichkeit klarzustellen.

Mit bündnisgrünen Grüßen

Frieder Otto Wolf, Claudia Roth, Elisabeth Schroedter, Wolfgang Kreissl-Dörfer, Wilfried Telkämpfer (alle MdEP); Bärbel Höhn, Manfred Busch (alle MdL); Ludger Volmer, Kerstin Müller, Christian Sterzing (alle MdB); Angelika Hirschmüller (BAG Internationales, Frieden und Europa)

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