Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Als 1937 mit „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ die erste abendfüllende Zeichentrickproduktion die Lichtspieltheater erreichte, war der Film ein großes Wagnis. Drei Jahre arbeits- und kostenintensiver Produktionszeit hatte Walt Disney investiert, und niemand wusste, wie das Publikum auf einen langen Cartoon reagieren würde – die Konkurrenz hielt den Mann mit dem Oberlippenbärtchen schlicht für verrückt.
Heute weiß man, dass Disney die richtige Entscheidung getroffen hatte: Nicht nur, dass „Schneewittchen“ über die Jahre ein Vielfaches der Produktionskosten wieder einspielte, die familienfreundlichen Disney-Filme entwickelten sich auch für Generationen zum Synonym für den Zeichentrick. Interessant erscheint hier der veränderte Blick auf die Märchenverfilmung, die uns heute mit ihren putzigen, singenden Zwergen und dem zuckersüßen Schneewittchen als Kinderfilm gilt. Doch das war nie so gedacht und wurde zeitgenössisch auch nicht so wahrgenommen: In England entbrannte seinerzeit ein heftiger Streit um die Altersfreigabe des Films, denn man befürchtete, die lieben Kleinen würden an der Darstellung der grausamen Königin und Hexe seelischen Schaden nehmen. So ich mich recht entsinne, einigte man sich schließlich darauf, den Film für Jugendliche ab vierzehn Jahre in Begleitung Erwachsener freizugeben. Die Zeiten haben sich zweifellos geändert. Eines allerdings ist geblieben: Noch immer können die sieben Zwerge den Verlockungen von Apfelstrudel und Stachelbeerkompott nicht widerstehen, und noch immer übt Disneys Klassiker einen unwiderstehlichen Reiz aus – zumal in der restaurierten Fassung aus dem Jahr 1993.
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Spannend ist im gleichen Zusammenhang auch Ulrich Stolls Dokumentation „Hitlers Traum von Micky Maus“, welche die Verstrickung deutscher Trickfilmer in die Propagandamaschinerie der Nazis beleuchtet. Mit Hilfe von Interviews und Ausschnitten selten gezeigter Filme wird der letztlich gescheiterte Aufbau einer deutschen Zeichentrickfilmindustrie während des Krieges nachgezeichnet, mit der man auf Geheiß von Propagandaminister Goebbels Disney Paroli bieten wollte.
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Erst vierzehn Jahre alt war Jean-Pierre Léaud, als er 1959 von François Truffaut für die Rolle des Antoine Doinel in „Sie küssten und sie schlugen ihn“, dem Auftakt des heute so genannten „Doinel-Zyklus“ (der letzte von vier weiteren Filmen, „Liebe auf der Flucht“, entstand im Jahr 1978), ausgewählt wurde. Quasi als Alter ego des französischen Regisseurs durchlebt Léaud/Doinel eine unglückliche Kindheit und entwickelt sich zu einem frühreifen Kleinkriminellen. Während Truffaut die Irrungen, Wirrungen und Liebeshändel des erwachsenen Antoine in späteren Jahren in einem eher leichten Ton präsentierte, geht es in seinem Debütfilm überwiegend ernst zu: Die Schonungslosigkeit und Direktheit, mit der der Regisseur von den Eskapaden des ungeliebten Jungen erzählt, sorgte seinerzeit für erhebliche Furore. LARS PENNING