Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Zu den seltsamsten jemals in Hollywood produzierten Musicals gehört zweifellos Roy Rowlands „The 5000 Fingers of Dr. T.“ (1953), eine kuriose Fantasie um einen kleinen Jungen, der eine tief greifende Abneigung gegen seinen Klavierlehrer hegt. In einem Albtraum landet Bart allerdings im Schloss des größenwahnsinnigen Musikus, wo er gemeinsam mit 500 anderen Jungen ein Klavierstück an einem Riesenpiano aufführen soll. Zur Musik von Friedrich Hollaender entfalten sich in sehr stilisierten, überdimensionierten Dekorationen alsbald bizarre Musicalnummern mit den einfallsreichen Choreografien von Eugene Loring um fiese Hypnotiseure, eingekerkerte Musiker und wilde Verfolgungsjagden.
Noch immer besitzt Rudolph Valentino den Ruf als größter Liebhaber der Stummfilmleinwand, doch zu sehen sind seine Filme nur selten. In dem vergnüglichen Abenteuer „Son of the Sheik“ gibt er sich gleich zweimal die Ehre: Valentino spielt – leicht parodistisch – sowohl den Scheich als auch dessen feurig dreinblickenden Sohn Ahmed, der sich zwischen lustig kostümierten Schurken und schönen Wüstenlandschaften nur schwer entscheiden kann, ob er die Tänzerin Yasmin (Vilma Banky) nun liebt oder hasst …
Die vierte Zusammenarbeit Josef von Sternbergs mit seiner „Entdeckung“ Marlene Dietrich: In dem Melodram „Shanghai-Express“ (1932) dienen die verschiedenen Aspekte eines Abenteuers – eine zusammengewürfelte Reisegesellschaft wird im Zug von Peking nach Schanghai von chinesischen Rebellen überfallen und gefangen gesetzt – als Katalysator für die komplizierte Liebesgeschichte zwischen dem britischen Offizier und Arzt Captain Donald Harvey (Clive Brook) und seiner ehemaligen Freundin Madeleine (Dietrich). Im Mittelpunkt von „Shanghai-Express“ steht jedoch nicht der Plot, sondern Sternbergs extravagante Fantasie eines imaginären Chinas sowie seine Hommage an die Schönheit Marlene Dietrichs. Sternbergs Filmaufnahmen der Dietrich haben den Charakter von emblematischen Fotografien: Wie sich Marlene nachdenklich mit den Händen durch die Haare fährt, wie sie verrucht eine Zigarette raucht oder sich keck eine Uniformmütze schräg aufs Haupt setzt, das alles hat man auf Dutzenden berühmter Fotos schon einmal gesehen – ein Image, erfunden und arrangiert von „Svengali Joe“. Doch nicht nur in den Szenen mit der Dietrich zeigt sich Sternbergs Talent als Arrangeur des Artifiziellen. Die Szene des nächtlichen Überfalls der Rebellen auf den an einer Station haltenden Zug ist mit den huschenden Gestalten der Soldaten vor dem Dampf der Lokomotive im grellen Gegenlicht ein Licht- und Schattenspiel der besonderen Güte, und die Sequenz der Abfahrt des Zuges aus dem Bahnhof von Peking beeindruckt mit ihrer Dynamik: Hunderte von hektisch dahineilenden Statisten bevölkern die Station, die Kamera gleitet in einer Parallelfahrt am Zug entlang, und Überblendungen von Aufnahmen mit gegenläufigen Bewegungen sorgen für den Eindruck eines sagenhaften Durcheinanders auf engstem Raum. Lars Penning