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Östliche Annäherungen

Mit dem Golfkrieg und dem Wiederaufleben autoritärer Tendenzen in der sowjetischen KP erwärmen sich Pekings Parteiführer wieder für die SU  ■ Aus Peking Simon Long

Mit Wladimir Iwaschko, der gestern zu einem fünftägigen Besuch in Peking eintraf, hat die Visite des hochrangigsten sowjetischen Parteifunktionärs in China seit dem historischen Gorbatschow-Besuch im Mai 1989 begonnen. Der Vize-Generalsekretär der sowjetischen KP soll ein Gipfeltreffen Mitte Mai vorbereiten, zu dem der chinesische Parteichef Jiang Zemin nach Moskau reisen wird. Vorher, am 4. März, wird mit Dimitri Jasow der erste sowjetische Verteidigungsminister seit den 50er Jahren in China erwartet.

Ein sowjetischer Diplomat in Peking erklärte, die chinesischen und sowjetischen Positionen in Bezug zum Golf lägen „sehr nahe beieinander“. Er glaube, dies habe zu einer allgemeinen Verbesserung der Beziehungen beigetragen.

Ebenso wie die Sowjetunion hat China „starkes Bedauern“ zum Beginn des Bodenkrieges ausgedrückt, sich aber von direkter Kritik an den USA und ihren Verbündeten zurückgehalten. Privat jedoch sind chinesische Funktionäre zornig über das, was sie als einseitige Entscheidung der USA bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen sehen. „Die Amerikaner können nicht weiter ihr Diktat der Welt gegenüber durchsetzen“, sagte ein Forscher an einem Regierungsinstitut, „dies war das letzte Mal.“ Wahrscheinlicher jedoch ist dies nicht das letzte Mal gewesen. So versucht China, die eigene Verhandlungsposition durch eine Serie von Kontakten auf höchster Ebene mit der Sowjetunion zu stärken.

Chinas größte Befürchtung ist, daß der Golfkrieg in einer weltweiten Pax Americana resultiert, unter der die USA China alles diktieren können, von Importquoten bei den Textilien bis zur Behandlung von Dissidenten. In den 80er Jahren genoß China aufgrund der aus amerikanischer Sicht bestehenden sowjetischen strategischen Bedrohung Vorzugsbehandlung. Der Golfkrieg zeigte, wie sehr sich das Gleichgewicht der Macht zu Washingtons Gunsten geneigt hat — und wie sehr Chinas Rolle im „Dreieck“ der Supermächte geschwächt worden ist.

Heute sind die sino-sowjetischen Beziehungen wieder an dem Punkt angelangt, wo sie bei dem Besuch Gorbatschows im April 1989 waren. Vor einem Jahr standen die beiden Länder an der Schwelle zu einem neuen ideologischen Kampf. Intern beschuldigte China Präsident Gorbatschow des „Verrats“ am Sozialismus in Osteuropa. Im vergangenen Februar gab die sowjetische KP ihr verfassungsmäßiges Monopol der politischen Macht auf. Für die chinesiche KP ist die „führende Rolle“ der Partei immer noch das wichtigste „Grundprinzip“ des Sozialismus. Daher besuchte — im Gegenzug zur Gorbatschow-Visite — Premierminister Li Peng, und nicht der Parteivorsitzende Jiang Zemin Moskau. Dennoch haben sich die wirtschaflichen, kulturellen und politischen Kontakte vervielfältigt. Die SU ist Chinas fünftgrößter Handelspartner geworden. Es hat eine Reihe von Gesprächen zur Bestimmung des Verlaufs der 7300 km langen Grenze gegeben, und separate Verhandlungen über die Truppenreduzierungen auf beiden Seiten. China soll sogar dabei sein, sowjetische SU-27-Kampfflugzeuge einzukaufen.

Ermutigt durch das wiederaufleben des Authoritarismus in der SU hat China nun weniger ideologische Zweifel am Regime Gorbatschows.

China hat jedoch Zweifel über die Dauerhaftigkeit sowohl der Regierung Gorbatschows als auch der SU als politischer Einheit. Im Konsulat in der nordöstlichen Stadt Shenyang hat China Diplomaten sowohl der Sowjetunion als auch der Russischen Föderation akkreditiert. Diese Unsicherheit verleiht der chinesischen Sowjetdiplomatie Dringlichkeit. Ihr ist besonders an der Finalisierung eines Grenzabkommens gelegen, das bedeutende sowjetische Zugeständnisse beinhaltet. China fürchtet, das indiviuelle Grenzrepubliken das Abkommen zurückweisen könnten.

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