Österreichs Kanzler Gusenbauer wackelt: Ein toller Hecht im Idiotenteich
Alfred Gusenbauer galt als ewiger Verlierer. Dann gewann er eine Wahl - aber ein Sieger wurde nicht aus ihm. Nun hat ihm seine Partei den Posten des SPÖ-Chefs weggenommen. Schade drum.
WIEN taz "Österreich wird in dieser Zeit auch ein Land der Party sein, ein Land des Feierns, ein Land der Freude, ein Land des Festes", sagte Österreichs Bundeskanzler Alfred Gusenbauer zum Auftakt der Fussball-Europameisterschaft vor drei Wochen. Und fügte noch hinzu: "Hoffen wir, dass nix passiert." Für Gusenbauer ging diese Hoffnung nicht auf und die Europameisterschaft wurde ein großes Fest, nur leider für ihn nicht.
Denn ihn haben seine Parteifreunde um einen Kopf kürzer gemacht, um den Parteivorsitzenden-Kopf. Und auch der Kanzler-Kopf sitzt schon sehr lose. Dass er beim Parteipräsidium am 16. Juni nicht vollends entmachtet wurde, beruht auf zwei Umständen. Erstens, weil der Tag der großen Fussballparty Österreich-Deutschland dann doch unpassend für einen Kanzlermord erschien. Zweitens und vor allem aber, weil Gusenbauer die Flucht nach vorne antrat, den Parteivorsitz abgab, um seine Kanzlerschaft zu retten. Ämtertrennung. Ob Gusenbauer ein "Dead Man Walking" ist, wie der Standard kommentierte, oder in Zukunft nur noch "Frühstückskanzler" sein wird, der praktisch nichts mehr zu sagen hat, ist eigentlich schon egal. Jedenfalls gibt es mit Werner Faymann, seit Jusotagen ein Gusenbauer-Spezi, heute freilich mit Feindoption, nicht nur einen neuen Parteichef, sondern auch einen Kanzleraspiranten der Marke Clever & Smart. Wohin die Reise mit Faymann geht, der bestens mit dem Hyänenjournalismus vom Boulevard vernetzt ist, zeigte sich bereits vorgestern: In einer 180-Grad-Wendung fordert jetzt auch die SPÖ eine Volksabstimmung über den EU-Vertrag. Pikant daran: Die neue Linie wurde in einem Brief an den Herausgeber der Kronen Zeitung verkündet, die populistisch Anti-EU-Stimmung schürt.
Dabei wurde Gusenbauer von seiner Partei im Oktober 2006 noch begeistert gefeiert. Völlig unerwartet hatte er es bei den Wahlen geschafft, die Konservativen des damaligen Kanzlers Wolfgang Schüssel knapp hinter sich zu lassen. Zwar hatte auch die Sozialdemokratie das zweitschlechteste Wahlergebnis der Nachkriegszeit eingefahren, aber sie feierte es wie einen Triumph. Und ihr Vormann wurde gerade deshalb bejubelt, weil ihm, den seit Jahren Häme und Spott wegen seiner Hölzernheit und seinem etwas eigenartigen persönlichen Stil, verfolgt haben, das niemand zugetraut hatte. Aber es war und blieb ein kurzer Honeymoon. Nach eineinhalb Jahren Gusenbauer-Kanzlerschaft grundelt die Partei in Umfragen irgendwo um die 30 Prozent. Wie konnte man nur so scheitern?
Gusenbauer ist nicht nur ein Gescheiterter, er ist auch ein gescheiter Mann. Man kann mit ihm über die neuesten Theoreme der Sozialwissenschaften ebenso gepflegt parlieren wie über die unterschiedlichen Tendenzen der lateinamerikanischen Linken. Verlässt er das Staatsgebiet läuft er zu Höchstform auf. In Brüssel schätzt man den Mann, für den sich Realitätssinn nicht auf Entpolitisierung reimt. Zu Angela Merkel hat er einen guten Draht, in der spanischsprachigen Welt sind die Premiers und Präsidenten von Zapatero bis Chavez begeistert von ihm. So ein Spanisch hat noch kein Regierungschef eines fremdsprachigen Landes gesprochen! Und wer einmal eine Rede Gusenbauers auf Englisch gehört hat, der würde ihm am liebsten zurufen: Hör auf, auf Deutsch Reden zu halten! Gusenbauer ist der seltene Fall eines Politikers, der daheim weit weniger trittsicher ist als in der weiten Welt. Nicht, dass er wüsste, wie es mit der Sozialdemokratie weiter gehen solle, aber er versteht wenigstens die Problemlagen von Demographie, Wohlfahrtsstaat, Globalisierung, Finanzmärkten. Es gab schon Regierungschefs, die hatten davon höchstens eine oberflächliche Ahnung, ja, gelegentlich begegnet man welchen, die nicht wissen, wovon überhaupt die Rede ist.
Aber dass einer sich auskennt reicht noch nicht zum guten Politiker, und zwar nicht nur, weil ein Politiker in Österreich automatisch eine schlechte Presse hat, wenn er klüger erscheint "als der nächstbeste Chefredakteur" (Armin Thurnher). Wobei Gusenbauer ein besonderer Fall ist, aber auch ein Kind seiner Zeit. Ein besonderer Fall, weil er sich mit einem Schuss Eigensinn, den man auch Arroganz nennen kann, für einen ganz tollen Hecht hält, und alle jene, die diese Meinung nicht vollends teilen, für Idioten. Von legendärer Beratungsresistenz ist er ohnehin. All das hat natürlich auch seine sympathischen Seiten. Um die konsumentenfreundliche Rundumvermarktung der eigenen Person hat er sich nicht sonderlich geschert. Er hat nicht vor dem Boulevard gebuckelt und auch die eigenen Granden vor den Kopf gestoßen. Er hat nicht jeden Landesfürsten zweimal wöchentlich angerufen und ihm Honig ums Maul geschmiert. Das hielt er für Zeitverschwendung. Wenn ihm Kritik entgegenschlug, igelte er sich ein, wurde schmallippig. Verschanzte sich im Kanzleramt, umgeben von engsten Mitstreitern - die sich seit 25 Jahren gegenseitig versichern, wie klasse sie seien - seit sie in gemeinsamen Jusotagen den Marsch durch die Institutionen antraten. Im verfilzten Politsystem Österreichs eher ein Einsickern in Machtpositionen.
Es hat viel mit Gusenbauers Charakter zu tun, dass er gescheitert ist. Schließlich zeigt er einem eklatanten Mangel an sozialer und emotionaler Intelligenz. Legendär sein Instinkt, mit dem er in jedes Fettnäpfchen trat. So fragte er vor einem Parteiabend in der Steiermark: "Wird das heute was Ordentliches oder das übliche Gesudere?" Gesudere ist Österreichisch für unproduktives Gemeckere und sehr negativ konnotiert. Als er sich, um Bundeskanzler zu werden, von der konservativen Volkspartei einen Großteil seiner Wahlversprechen abräumen ließ und an der Parteibasis ein Sturm der Entrüstung losbrach, verhöhnte er die protestierenden Jungsozialisten und verschanzte sich hinter Polizeiabsperrungen.
Zeitweise hatte man das Gefühl, dass Gusenbauer, während ihm das allgemeine Publikum mit Animositäten begegnet, aus der eigenen Partei regelrechter Hass entgegenschlug.
Aber er ist eben nicht nur ein besonderer Fall. In Gusenbauers Scheitern verdichtet sich auch das Dilemma der zeitgenössischen Sozialdemokraten, derjenigen, die jetzt das Erbe von Schröder, Blair und ihren Mittelwegsgefährten anzutreten haben. Vor zehn Jahren, in dotcom-Boom und New Economy, versöhnten sich die "Neuen Sozialdemokraten", wie sie damals hießen, mit der Markteuphorie. Es war beinahe ein zweiter Revisionismus, der dazu führte, dass sie sich an den neoliberalen Geist der Zeit anschmiegten, an "mehr Privat, weniger Staat". Zehn Jahre später ist die soziale Frage wieder zurück. Die Sozialdemokraten haben jetzt ein Problem. Wenden sie sich wortreich gegen "den Neoliberalismus", nimmt man ihnen das nicht so recht ab. Machen sie mit dem liberalistischen Reformgetöse weiter gehen ihnen die eigenen Leute, die sich sozial bedrängt fühlen, von der Fahne. Eine strategische Lose-Lose-Situation, die sich für Gusenbauer grundsätzlich nicht anders darstellt als für Kurt Beck. Gewiss, ein Charismatiker kann das vielleicht überstrahlen. Aber selbst für einen solchen Wunderwuzzi wäre das schwer, eingezwängt in eine Großen Koalition, in der sich zwei praktisch gleich große Partner skeptisch beäugen und der jeweils anderen Seite keinen Erfolg gönnen wollen.
Bei all dem geht es natürlich nicht bloß um Strategie und Taktik, sondern um Grundlegenderes: Letztendlich wissen die Sozialdemokraten eigentlich nicht, wofür sie stehen sollen. Hinzu kommt die Abkoppelung des Politsystems von den Wählern, was in den Sozialdemokratien besonders augenfällig ist. Die Rekrutierungssysteme für Spitzenpolitiker funktionieren zunehmend selbstreferentiell, und die Kompetenzen, die man braucht, um in der Welt der Politik-Politik zu reüssieren, entfremden das Spitzenpersonal von den Leuten, die sie eigentlich repräsentieren sollen. Plump gesprochen: Die Politiker haben nichts anderes gelernt als Politiker zu sein und stellen Politiker dar. Letztlich sind sie Technokraten, die wissen, dass ihre Leute etwa nach "sozialer Wärme" gieren. Also sprechen sie in Wortgirlanden, die nach sozialer Wärme klingen. Die berühmten Textbausteine von den "Sorgen" und den "einfachen Leuten", die Geschichten, die nie ohne die exemplarische Mindestrentnerin auskommen. Weil die Leute im Fernsehen nur Soundbites wahrnehmen, werden die Schlüsselsätze automatisch in 40-Sekunden-Schachteln formuliert, dafür aber acht mal wiederholt. Das Ergebnis: Authentizitätsmangel. Sie wirken, wie Werner A. Perger im Wiener Falter schrieb, "nicht echt". Perger: "Die Verzückung, mit der viele europäische Sozialdemokraten zurzeit die Kampagne des Barack Obama beobachten, hat mit diesem Gefühl des Verlusts zu tun."
Aus Gusenbauer jedenfalls wird kein Obama mehr. Eigentlich schade drum. Denn alles in allem ist er eine interessante Type. Es hat nur irgendetwas gefehlt.
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