■ Österreich wehrt sich gegen genmanipulierte Produkte: Wie ein gallisches Dorf
Mit der Volksabstimmung gegen das Kernkraftwerk Zwentendorf setzte die österreichische Bevölkerung 1978 ein Signal. Kurz vor dem Beinahe-GAU im Atommeiler von Harrisburg und lange noch vor Tschernobyl wurde die weltweite Atomeuphorie gebremst. Daß es auch ohne Nuklearstrom geht, beweist inzwischen nicht nur Österreich.
Jetzt steht eine weitere Ikone des wissenschaftlichen Fortschritts in Österreich zur Diskussion: die Gentechnik. Zwar geht es nur um eine als Volksbegehren formulierte private Initiative, die im Parlament lediglich behandelt werden muß und keine verbindliche Wirkung hat. Doch steht eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Verbot gentechnisch manipulierter Lebensmittel. Schon jetzt ist die Einfuhr von Gen-Mais und Gen-Soja aus den USA verboten.
Doch die Politiker weisen darauf hin, daß angesichts der offenen Grenzen in der Europäischen Union mehr als eine Kennzeichnungspflicht nicht realistisch ist – und Wissenschaftler halten auch die Kennzeichnung für Unsinn. Denn nachweisen kann die Manipulationen niemand. Im Jahr 2000 werden 50 Prozent aller Enzyme in Backwaren und 95 Prozent der Enzyme für die Stärkespaltung (Zuckersirup für Limonaden) gentechnisch erzeugt werden. In jedem zweiten deutschen Waschmittel befanden sich schon seit vier Jahren genveränderte Enzyme. Noch sorgen Gen-Soja und Gen-Mais für Schlagzeilen, doch in ein paar Jahren werden sie so selbstverständlich sein wie heute Antibiotika aus genmanipulierten Mikroorganismen.
Anders als bei der Kernspaltung sind bisher negative Auswirkungen von pestizidresistenten Getreidesorten oder genmanipulierten Melonen nicht bekannt. Die österreichischen Boulevardblätter spielen mit den irrationalen Ängsten ihrer Leser, wenn sie die Gentechnologie pauschal verteufeln.
Österreich kann sich wohl schlecht wie ein gallisches Dorf gegen den Rest der Welt abschotten, wenn die Europäische Union den Genexperimenten keinen Riegel vorschiebt. Ganz abgesehen davon, daß die Politiker nicht wissen, wie sie die heiße Ware aus Österreich fernhalten sollen. Doch die Diskussion über die gesundheitlichen und ethischen Grenzen der Gentechnik ist wichtig. Der Paukenschlag in Österreich könnte dafür sorgen, daß in Brüssel zumindest darüber nachgedacht wird. Ralf Leonhard
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