■ Österreich: Wer bombt?: Verrückte, Nazis oder beides
Heerscharen von Sicherheitsexperten, Legionen von Historikern, unzählige Sprachwissenschaftler mühen sich ab – doch den Bombenbauern, die seit 1993 Österreich in Atem halten und nunmehr auch damit begonnen haben, ihre explosive Fracht nach Deutschland zu spedieren, scheint nicht beizukommen zu sein. Bekannt ist bloß soviel: Seit Dezember 1993 verschickt eine unbekannte Terrorgruppe Briefbomben und plaziert Bombenfallen. Die Bilanz: vier Tote, mehrere Schwerverletzte.
Nach der ersten Bombenwelle konzentrierte sich die Fahndung noch auf das klassische neonazistische Milieu: auf die Getreuen des einsitzenden Nazi-Führers Gottfried Küssel und seine VAPO-„Bewegung in Waffen“. Zwei VAPO-Aktivisten sitzen seither in U-Haft. Doch nach den Briefbombenfällen II und III und den Rohrbombenanschlägen von Stinatz und Oberwartz (damals kamen vier Roma ums Leben) kommen immer mehr Zweifel auf; krude Bekennerschreiben einer „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ (BBA) nähren diese Zweifel.
Die geschichtsmythologisch überhöhten Schreiben der BBA, ihr Rekurs auf Sagengestalten der Deutsch- Österreichischen Geschichte wie den antislawischen Krieger Odilo, den Türkenbezwinger Starhemberg oder den Tiroler Volkshelden Andreas Hofer lassen es fraglich erscheinen, ob die Bombenwerfer aus dem klassischen nazistischen Organisationsgeflecht stammen. Handelt es sich wirklich um die üblichen Hitler- Verehrer? Oder eher um fundamentalistische Verrückte, deren Vorgehen dem der japanischen Aum- Sekte oder dem der Bombenwerfer von Oklahoma viel ähnlicher ist?
Spekulationen öffnet all das Tür und Tor. Schicken die Terroristen ihre Bomben tatsächlich, wie angenommen, als Reaktion auf das Urteil gegen Gottfried Küssel? Gibt es eine Vernetzung zwischen deutschen Untergrundkämpfern und den österreichischen Briefbomben-Profis? Kam der Lübecker Adressat bloß ins Visier, weil die Bomber seinen Namen in einer Zeitung gelesen hatten, oder wurde er von deutschen Rechten ins blutige Spiel gebracht?
Die Reaktion der österreichischen Bevölkerung und der politischen Eliten ist für Außenstehende recht wunderlich und nur aus diesem Dilemma heraus verständlich: Die Herausforderung durch jene, die einen Systemwechsel herbeibomben wollen, ist mental leichter zu akzeptieren, wenn man weiß, wer denn den Angriff führt. Dann kann man – im schlimmsten Fall – nach dem starken Staat rufen, nach Rasterfahndung und Lauschangriff.
Doch was tun gegen Schläge aus dem Nichts? Die Ermittler tappen verstört durchs dunkle. Robert Misik
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