Ölteppiche, Waldbrände etc.: Wenn es brennt, sickert oder explodiert, muss erst einmal das Saarland ran
Das Flächenmaß der Katastrophe
„Nach dem Untergang des Öltankers ‚Prestige‘ treibt ein etwa 280 Kilometer langer und 30 Kilometer breiter Ölteppich im Atlantik. Das ist mehr als dreimal so groß wie das Saarland (2.570 Quadratkilometer).“ Spiegel-Online 20. 11. 2002
Ereignisse werden im Vergleich bewertbar. Der Aushub von 85.000 Tonnen Erdreich zur Errichtung der größten Tropenhäuser der Welt entspricht zum Beispiel dem Gewicht von 616 Blauwalen. Darunter kann man sich etwas vorstellen. Bei fatalen Prozessen gibt es jedoch eine andere privilegierte Hilfsgröße: das Saarland. Die einfache oder mehrfache Größe des Saarlandes stellt mit Vorliebe da Anschaulichkeit her, wo man gern wegschauen würde. Ist etwas erst einmal so groß wie das Saarland, haben wir ein Problem.
Wenn bis zum Jahre 2010 mit einer Zunahme der Versiegelung von Grünflächen um 500.000 Hektar zu rechnen ist, dann entspricht das der doppelten Größe des Saarlandes. Vor einigen Jahren zerstörten die Waldbrände im Nordosten Kanadas eine Fläche von der Größe des Saarlandes. Durch den Boom der Garnelenzucht kam es in Ecuador zu einer Verödung der Mangrovenwälder und einer Gewässerverschmutzung und Küstenerosion in derselben Größe. Der Verantwortungsbereich der deutschen SFOR-Truppen in Bosnien-Herzegowina hat etwa die anderthalbfache Größe des Saarlandes. Das Areal der Colonia Dignidad in Chile hat die Größe des Saarlandes und ist mehrfach von Stacheldrahtzäunen gesichert.
Als 1908 der Einschlag eines Meteorits mit einem Durchmesser von 100 Metern zu einer gewaltigen Explosion in Mittelsibirien führte, entsprach das Ausmaß der Verwüstung der des Saarlandes und war somit genauso groß wie die Eismassen die Mitte März 2002 vom nördlichen Larsen-Schelfeis an der antarktischen Halbinsel abgebrochen sind. Und jetzt der Ölteppich. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis das Rentenloch die dreifache Größe des Saarlandes erreicht hat.
Natürlich gibt es auch Flächen, die so groß wie Bayern sind, wenn auch nicht so viele. Zudem handelt es sich dabei weniger um Naturkatastrophen als um Naturphänomene und häufig um erhabene dazu: der Viktoriasee! Der Lauca-Nationalpark! Und Georgien, Tasmanien, Litauen, Kirgisistan (die Schweiz Mittelasiens!), Sri Lanka und die MacDonald’s-Inseln haben alle eines gemeinsam: Sie sind so groß wie Bayern.
Ist es wirklich nur seine übersichtliche und zudem rechnerisch handliche Größe von 2.500 Quadratkilometern, der das Saarland seine Führungsposition als bundesrepublikanischer Katastrophenmeter verdankt? Oder schwingt eine gewisse Missachtung für das kleine strukturschwache Gebiet und seine museale Stahlindustrie mit, das wegen seiner historischen Rolle vielleicht etwas beweglicher erscheint als etwa Schleswig-Holstein?
Zuletzt bleibt noch eine beunruhigende Frage: Ist auch das Saarland so groß wie das Saarland? MONIKA RINCK
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