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■ ÖkolumneGlaubwürdigkeit Von Christa Reetz

In den siebziger Jahren demonstrierten Hunderttausende gegen die Atomindustrie. Der Staat antwortete mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln und die Betreiber mit primitivsten Parolen, etwa: „Deutschland braucht Kernenergie“ oder „Ohne Kernenergie wird Strom zum Luxus“. Keine Skrupel hatten sie auch bei Aussagen zu Technik und Gesetz: „Die Kernenergie ist eine sichere und saubere Technik zur Stromerzeugung“ und „Das Gesetz bestimmt, was die Technik sicher beherrschen muß“, schließlich zur Umwelt: „Die Natur blüht auch weiter!“

Inzwischen haben die Atommanager ihr Repertoire geändert. Sie argumentieren mit ökologischer Verantwortung und den weltweiten Energieproblemen und anerkennen das Primat der Politik. Über letzteres spucken sie besonders große Töne, weil sie genau wissen, daß eine unabhängige Energiepolitik in der Bundesrepublik nicht stattfindet. Im Gegenteil: Die Bonner Politiker rollen mit dem jüngsten Entwurf der Novellierung des Atomgesetzes der Atomindustrie einen roten Teppich aus: Die entscheidende Passage im Paragraph 7, Absatz 2 soll nicht mehr lauten: „Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn ...“, sondern „die Genehmigung ist zu erteilen, wenn...“ Das bedeutet, daß Landesbehörden keine Möglichkeit mehr haben sollen, nach ihrem politischem Ermessen ein Atomkraftwerk nicht zu genehmigen.

Vor vier Jahren gaben die Atombosse der Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstäbe in Wackersdorf den Gnadenschuß. Veba-Chef von Bennigsen- Foerder bezeichnete damals den Kernenergiestreit als Gespensterschlacht um politische Entscheidungen von gestern und forderte gleichzeitig den Konsens für eine langfristige Zukunft. Mit der geplanten Novellierung des Atomgesetzes und der derzeitigen Konsensdebatte kommen die Betreiber dieser Forderung näher und sichern juristisch und politisch ihre Bestandsinteressen. Sie rechnen damit, daß die SPD als künftige Regierungspartei oder auch als Opposition ihren Nürnberger Ausstiegsbeschluß fallen läßt und daß dann die Novellierung des Atomgesetzes zügig vorangetrieben werden kann.

Auffällig ist schon, daß selbst die Grünen in ihrem Aufruf zum siebten Jahrestag von Tschernobyl nurmehr verlangen: „Endlich Schluß mit dieser tödlichen Energieform!“ „Energieform“ sagen sie, als ob sie es angesichts der laufenden Konsensverhandlungen, bei denen sie mit am Tisch sitzen, nicht mehr wagten, die Dinge beim Namen zu nennen. Vielleicht wagt auch Joschka Fischer nicht mehr, den alten Atommeiler Biblis A stillzulegen, weil ihm der Schreck über den letzthin verlorenen Prozeß gegen Siemens, Hanau noch in den Knochen steckt.

Der bundesrepublikanischen Gesellschaft fehlen seit der Wende alle Voraussetzungen der geistigen Erneuerung für ein post-atomindustrielles Leben. Der Ausstieg aus der zentralen großtechnischen Energieversorgung in eine dezentrale gilt den meisten Menschen nicht als Schritt in die richtige Richtung und bessere Lösung für Mensch und Umwelt. Die zivile Gesellschaft hat den zivilen Ungehorsam verlernt. „Unser Recht auf Stillegung“ heißt die Initiative gegen das Atomkraftwerk Würgassen.

Mit diesem Namen fordert sie tagtäglich die Grundrechte auf „Unantastbarkeit der Würde des Menschen“ und „Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“. Aber außer diesen Betroffenen empfindet offenbar niemand den Betrieb von Atomkraftwerken mit allen Folgen als schwere Verletzung der Verfassung, die Grundrechte gelten als zu allgemein und unverbindlich. Trotz des ungeheuren Elends der Atomkatastrophe von Tschernobyl, bei der Hunderttausende ihre Heimat verloren haben, ihr Leben im Atomasyl fristen, fehlt in der Diskussion sogar der gemeinsame Wille der Umweltverbände zum Sofortausstieg. Dieser sofortige Ausstieg ist möglich, das hat sogar der RWE-Vorstand Dietmar Kuhnt kürzlich eingeräumt. Dennoch sitzen Vertreter von Greenpeace, BUND und der Ärzte gegen den Atomkrieg in Konsensgesprächen mit Regierung und Industrie am Tisch und reden über Ausstiegsfristen. Eine andere Energiepolitik wird dort nicht durchgesetzt – aber viel Glaubwürdigkeit verloren.

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