■ Ökolumne: Schilf statt Atom! Von Franz Alt
Es ist noch immer selbstverständlich, daß Milliarden Mark für Atomwissenschaft ausgegeben werden, während wenige Millionen für Sonnenenergie-Forschung schon als großzügige Zukunftsinvestitionen gelten. Ausnahmen sind Schleswig-Holstein und Bayern. Was der Wind im nördlichen Küstenland schafft, bringen Energiepflanzen im südlichen Agrarland.
In Bayern haben Wirtschaft und Regierung seit 1989 über eine Milliarde Mark in die „Energie vom Acker“ investiert: In Biomasse-Heizwerke, Biodiesel- Fahrzeuge, verrottbares Verpackungsmaterial und in den Anbau von Energiepflanzen. 40 Biomassekraftwerke mit insgesamt 500 Megawatt Leistung sind zwischen Aschaffenburg und Garmisch schon in Betrieb oder geplant. In Sulzbach-Rosenberg zum Beispiel wird in den nächsten Monaten ein Biomasse-Heizkraftwerk errichtet, das Strom und Wärme erzeugt. Landwirte und Forstbesitzer der Umgebung können jährlich 15.000 Tonnen Brennstoff in Form von Schilfgras, Stroh und Restholz liefern. Das ergibt soviel Energie wie sechs Millionen Liter Öl.
Schilfgras ist die interessanteste Energiepflanze. Nach sechs Jahren Forschung steht fest: China-Schilf bringt etwa zehnmal soviel Biomasse wie der Wald. Schilfgras gehört zu der Gruppe der C4-Gräser, die eine weit effektivere Photosynthese (Verwertung des Sonnenlichts) haben als die heimischen Pflanzen. Weil es viele Arten davon gibt, müssen sie nicht in Monokultur angebaut werden. Forschungen in Brandenburg zeigen, daß Schilfgras in den von der Braunkohle verseuchten Böden wie ein Klärwerk wirkt und auf natürliche Weise die kaputten Böden wieder in Ordnung bringt.
Der größte Vorteil von Pflanzenenergie ist jedoch: kein CO2-Problem, kein Treibhauseffekt! Die Pflanzen nehmen beim Wachsen nämlich genau soviel CO2 aus der Luft auf wie beim Verbrennen, Vergasen, Verstromen freigesetzt wird – ein geschlossener Kreislauf.
Nach sechs Jahren Forschungsarbeit sagt die Bundesanstalt für Landwirtschaft heute: Keine ökologischen Probleme mit Schilfgras. Diese Pflanzen brauchten keine Pestizide und nur etwas Dünger im ersten Jahr. Sie werden einmal gepflanzt und wachsen dann immer wieder nach – jahrzehntelang. Die Bauern müssen nur ernten. Alles andere macht die Natur. Sie hat mehr Lösungen für unsere Probleme, als wir ahnen.
Einwände gegen C4-Gräser kommen von der Energiewirtschaft und von Ökologen, welche die Erfahrungen mit Monokulturen auf Energiepflanzen übertragen und die neuen Forschungsergebnisse ignorieren. Schilfgras ist aber eine völlig andere Pflanze als die bisher bekannten. Pflanzen sind die effektivsten Sonnenkollektoren, gleichsam gespeicherte Sonnenenergie.
Brennstoff aus Biomasse ist billiger als Kohle und Öl, die Technik ist freilich noch teuer – wie immer am Beginn eines neuen Energiepfads. Wenn alle Bundesländer Energieforschung aus Biomasse so intensiv unterstützen wie Bayern, dann ist bald Schluß mit dem Bauernsterben. Landwirte haben dann endlich wieder eine Perspektive. Sie sind Energieproduzenten der Zukunft.
Sind also Bauern die künftigen Ölscheichs? Wird Deutschland ein Schilfmeer?, fragt die FAZ schon ganz besorgt und wie im Auftrag der Atomlobby.
Natürlich nicht! Wenn jedoch auf der Hälfte der heute stillgelegten Fläche C4-Gräser angebaut werden und diese Bioenergie intelligent durch Kraft-Wärme-Kopplung genutzt wird, dann können damit in zehn Jahren alle deutschen AKW energetisch ersetzt werden.
Schilfgras statt Atom – eine Utopie?
In einigen Jahren schon werden wir uns wundern, daß wir nicht viel früher darauf gekommen sind. Die Natur gibt uns Nachhilfeunterricht. Die Photosynthese ist die Ideallösung für die ökologische Energieproduktion. Machen wir's den Pflanzen nach.
AKW sind so überflüssig wie die Zerstörungsenergie aus Kohle, Gas und Öl. Die wichtigste Energiequelle ist das Energiesparen. Die Restenergie, die wir dann noch brauchen, werden wir aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse gewinnen müssen.
Die Energiewende ist möglich: Diese Erkenntnis muß das Wahlkampfthema Nr. 1 im Mammutwahljahr 1994 werden.
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