■ Ökolumne: Ausstiegsübungen Von Niklaus Hablützel
Manchmal sind diejenigen, die es immer schon gewußt haben, hinterher doch nicht die Klügeren. Das schafft Platz im Kopf. Natürlich konnten sich deutsche Christ- und Sozialdemokraten, Grüne, Gewerkschaften, Umweltschutzgruppen und Industriemanager nicht darauf einigen, die 21 deutschen Atomkraftwerke auszuknipsen. Nur folgt daraus nicht, daß die Konsensgespräche gescheitert sind, die zu ebendieser Frage geführt wurden. Es genügt, die Erklärungen des Umweltministers Töpfer im Lichte der Fakten zu lesen, um zu erkennen, daß die erste Runde mit zwei bemerkenswerten Ergebnissen zu Ende ging: Der Ausstieg aus der Atomenergie ist in Deutschland nicht nur beschlossen, er beginnt tatsächlich. Das zweite, wichtigere Ergebnis ist, daß ohne Hilfe der Umweltschutzorganisationen keine Energiepolitik mehr möglich ist.
Ein Erfolg also für die Atomenergiegegner und -gegnerinnen, der aber zu gewissen Revisionen bisheriger Strategien zwingt. Glücklicherweise hat das letzte Gefecht des Atomstaates gegen seine Bevölkerung nicht stattgefunden. Statt dessen haben Parteien, Verbände und Industrie überaus friedlich ihren Dissens über die künftige Nutzung der Atomenergie bestätigt. Damit steht fest, daß in Deutschland nie wieder ein Atomkraftwerk gebaut wird, ganz gleich welcher Sicherheitsstufe. Denn niemand kann die politischen Folgen tragen, auch Klaus Töpfer nicht, der heute noch erklärt, er wolle der Atomenergie eine „reale Chance“ geben. Er kann es nicht. Das sogenannte „Artikelgesetz“, das er angekündigt hat, soll die Laufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke befristen und höhere Sicherheitsstandards einführen. Beides wäre für die Atomwirtschaft vielleicht akzeptabel, wenn wenigstens die Sozialdemokraten zustimmen würden. Doch selbst dann fehlte jener politische „Konsens der gesellschaftlichen Gruppen“, den in dieser Woche der Chef der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke erneut eingeklagt hat. Nach dem Ende der Energiegespräche ist die Atom-Option nicht mehr realistisch, nur die Altlasten eines gescheiterten Projekts stehen herum, Investitionsgräber ohne Zukunft, über deren „geordnetes Auslaufen“, wie der verstorbene Veba-Chef Klaus Piltz formulierte, dringend verhandelt werden muß.
Genau das wird geschehen. Und am Tisch werden Atomkraftgegener sitzen, sonst gäbe es nichts zu verhandeln. Nichts anderes war übrigens mit dem Wort „Ausstieg“ gemeint, das bereits einen internen Kompromiß bezeichnet. Denn die Strahlengefahr allein würde das sofortige Abschalten solcher Anlagen begründen. Aber eine wirksame politische Strategie ließ sich darauf nicht bauen. Weltweit sind heute 420 Atomkraftwerke im Betrieb oder im Bau, etliche südostasiatische Länder planen gerade den Einstieg in diese Energietechnik. Schon die globale Dimension dieses Problems zwingt zur Einsicht, daß ein nationaler Alleingang eines reichen Landes wie der Bundesrepublik das Risiko nur geringfügig vermindert.
Hinzu kommt die neue Erkenntnis, daß auch dieser bescheidene Erfolg nur in Kooperation mit der Atomwirtschaft möglich ist. Für den Weltmaßstab gilt dasselbe. Atomkraftgegener und Energiewirtschaft sind dazu verurteilt, einen gemeinsamen Ausweg zu finden. Die Bonner Konsensgespräche sollten deshalb als Modell für die Zukunft ernst genommen werden.
Gewiß liegen die Einwände nahe. Wenig hat sich in der Sache bewegt, bei jeder Gelegenheit verkündeten Wirtschaft und Regierung die „Unverzichtbarkeit“ der Atomenergie. In Wahrheit stand sie zur Disposition wie nie zuvor. Denn die Gegner haben ein gemeinsames Problem entdeckt. Sie haben Risiken und Kosten verglichen und hörten auf, sich grundsätzlich bösen Willen zu unterstellen. Diese Erfahrung ist nicht rückgängig zu machen, auch wenn im jeweils eigenen Lager das Verratsgeschrei der Hardliner laut wird.
Es wird von selbst verstummen. Die Konsensgespräche enthalten im Kern eine weit radikalere Vision als die liebgewordenen Parolen gegen den Atomstaat. Vorstellbar ist nämlich, daß die neuen Partner demnächst handeln. Siemens-Techniker, Veba-Manager, Energiersparexperten, Radiologen, Feministinnen und Ökobanker könnten eine Art Eingreiftruppe bilden, die für das Abschalten eines jeden der 420 Atomreaktoren dieser Welt ein wirtschaftlich tragbares Konzept entwickelt. In Deutschland darf diese taskforce schon mal mit den ersten Übungen beginnen.
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