■ Ökolumne: Dioxinhimmel Von Michael Vesper
Ein einziges Sinterband des Hoesch-Stahlwerks „Westfalenhütte“ in Dortmund pustet jedes Jahr ein Achtel der Dioxinmenge in die Ruhrgebietsluft, die in Seveso Tod und Verderben brachte – ganz legal, denn Grenzwerte für solche Sinteranlagen gibt es nicht. Erst kürzlich wurden Gesetze so geändert, daß auch die Industrie Sondermüll in ihren Anlagen verbrennen darf.
Ökologie paradox: Wenn's um Müllverbrennungsanlagen geht, streitet die ganze Republik um Dioxin- Grenzwerte – mit dem Ergebnis, daß die gesetzliche Obergrenze auf 0,1 Nanogramm gesenkt wurde; währenddessen stoßen unkontrollierte Öfen privater Unternehmen das Vielhundertfache aus – 40, 50 oder gar 70 Nanogramm pro Kubikmeter Abluft.
Was ist zu tun? Die Auseinandersetzung darüber zeigt, wie sich das Verhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie in Zeiten der Krise wieder verschlechtert. Ausgerechnet ein Umweltminister, Klaus Matthiesen aus Nordrhein-Foto: Jürgen Eis
Westfalen, führt die Front derer an, die sich gegen strenge Umweltstandards wehren und für den Vorrang wirtschaftlicher vor ökologischen Interessen eintreten. Und um den Zwang zu ökologischem Handeln wegzuhexen, beschwört er, auch im Fall Hoesch, zwei Zauberformeln:
Erstens bedeuteten die Dioxin-Emissionen für AnwohnerInnen und Beschäftigte keine „akute Gesundheitsgefahr“. Nach dieser Logik sind Hautausschläge wohl ernster zu nehmen als ein nicht „akut“, sondern langfristig erhöhtes Krebsrisiko. Doch auch „agent orange“ war nicht unmittelbar tödlich. Nicht der Extremfall der „akuten“, sondern der Normalfall der schleichenden Vergiftung bedroht unsere Gesundheit.
Zweitens baut Matthiesen die irreale Alternative „Schweigen oder Schließen“ auf und mißbraucht so die Angst der Betroffenen um ihre Arbeitsplätze. Flugs rechnet er mögliche Stellenverluste bei Stillegung der Dioxinschleudern allein in NRW auf 50.000 hoch. Wer wagt es da noch, sich in einer Region, die hart von der Wirtschaftskrise getroffen und zum Strukturwandel gezwungen ist, zum Anwalt der Ökologie zu machen?
Beide Zauberformeln lösen die Probleme nicht, sondern vergrößern sie. Weder Schweigen noch Schließen, sondern Handeln heißt die Devise. Wer untätig bleibt, gefährdet mittel- und langfristig mehr Arbeitsplätze als diejenigen, die Umweltzerstörung und Gesundheitsbelastung ernst nehmen und konsequente Gegenmaßnahmen verlangen. Nur frühzeitige Produktionsumrüstungen nach dem fortgeschrittensten Stand der Technik garantieren langfristig wirtschaftliche Prosperität. Wozu es umgekehrt führt, wenn man die schädlichen Wirkungen von Umweltgiften systematisch verharmlost, zeigt extrem das Beispiel der ehemaligen DDR: der dramatische Arbeitsplatzverlust hat auch mit der jahrzehntelangen ökologischen Ignoranz zu tun, die dort herrschte.
Vergeblich wäre auch die Hoffnung auf die Einsicht der Unternehmen. Da hilft kein Zauber, nur starker politischer Druck. Wichtigstes Instrument ist das Umwelt-Outing: Alle Daten über die ökologischen Auswirkungen von Produktions- und Verbrennungsverfahren müssen auf den Tisch. Wir brauchen die öffentliche Debatte um die Ursachen und die Verursacher von Umweltgefährdungen – ohne sie bewegen sich Wirtschaft und Politik im Schneckentempo, Matthiesen, der im Fall Hoesch sieben lange Monate geschwiegen hatte, legt der Schnecke dagegen noch Zügel an.
Die Erfahrung lehrt: Nicht ein einziger umweltpolitischer Fortschritt kam zustande, ohne daß Initiativen und Bewegungen, WissenschaftlerInnen und PublizistInnen öffentlich Skandal geschrien hätten. Sind die Gift-Emissionen nicht verantwortbar, muß mit Schließen gedroht werden. Nur dann sind die Verantwortlichen zum umweltpolitischen Handeln bereit. Wozu die Industrie auf Druck imstande ist, zeigt das Beispiel der Klöckner AG in Bremen. Sie hat vertraglich zugesichert, in ihrer Sinteranlage den für die Müllverbrennung geltenden Grenzwert bald einzuhalten. Im „grünsten Industriegebiet Europas“ hingegen, das die Landesregierung schaffen wollte, regiert statt Ökologie der schöne Schein. Der „blaue Himmel über der Ruhr“ ist nichts als blauer Dunst, der die ökologische Wirklichkeit in Nordrhein-Westfalen vernebelt.
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