■ Ökolumne: Brüßler Ausreden Von Alois Berger
Wenn Politiker nicht mehr weiterwissen, richten sie eine Arbeitsgruppe ein. Manchmal kommt dabei sogar etwas Sinnvolles heraus, aber nicht immer. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben eine Reflexionsgruppe gegründet. Sie hat auf fünfzig Seiten aufgelistet, woran es in der EU hakt.
Zum Beispiel in der Umweltpolitik. Die Bevölkerung erwarte „größeren Respekt für die Grenzen, die durch die Umwelt und die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung gesetzt werden“. Sehr vorsichtig formuliert. Die hochrangigen Vertreter der nationalen Regierungen, die zusammen mit zwei Europarlamentariern ein halbes Jahr lang reflektiert haben, machen auch gleich ein paar Vorschläge zur Verbesserung. Etwa die Versprechen der EU-Regierungen auf der Rio-Konferenz in die Europäischen Verträge hineinzuschreiben. Oder Umweltvorgaben in die Agrar- und Verkehrspolitik. Auch Einfuhrbeschränkungen für Waren, die unter umweltbelastenden Bedingungen hergestellt wurden, seien empfehlenswert.
Der letzte Punkt ist besonders interessant, weil er Einblicke in das Denken gibt, das dahintersteht. Einige Länder fühlen sich durch den zunehmenden Freihandel der EU mit dem Rest der Welt belästigt. Auch wenn es in dem Reflexionspapier nicht drinsteht, ist unschwer zu erraten, daß die Forderung nach Umweltkriterien für die Einfuhr auf französischem Mist gewachsen ist. Um die Umwelt geht es dabei am allerwenigsten. Ein Einfuhrverbot für seltene Tropenhölzer, wenn das gemeint sein sollte, muß man nicht in den EU-Vertrag schreiben. Frankreich sucht Verbündete für seine Abschottungspolitik. Der Vorschlag zielt auf die Deutschen, Dänen und Schweden, die den Freihandel hochhalten, aber wegen ihrer umweltbewußten Bevölkerung nicht sofort nein sagen können.
Nun ist es tatsächlich ein Umweltproblem, wenn immer mehr Waren kreuz und quer um die Erde gekarrt werden. Mit einer Erhöhung der Energiepreise ließe sich der Unfug wirksam einschränken, aber davon wollen die EU-Regierungen nichts wissen. Lieber denken sie sich Handelsbeschränkungen aus, die sie nach Gusto festlegen. Doch nicht der Freihandel ist das Problem, sondern die subventionierte Energie. Tomaten, die in ganzjährig geheizten Treibhäusern gezogen werden, verbrauchen mehr Energie, als wenn man ein paar Lastwagen voll aus Marokko einführt, wo sie unter der Sonne gewachsen sind.
Wenn die Mitgliedsländer der EU mehr für die Umwelt tun wollten, könnten sie das. Aber sie wollen nicht, zumindest nicht alle. Und solange einige nicht mitziehen, wollen auch die anderen nicht. Das Prinzip ist immer dasselbe. Umweltschutz gilt nicht als Beitrag zum Wohlstand, sondern als Kostenfaktor. Dabei böte die EU die Chance, gemeinsam höhere Umweltstandards einzuführen, ohne den nationalen Wirtschaften über Gebühr Wettbewerbsnachteile zuzumuten. Nur sieben Prozent des Bruttosozialproduktes wird im Handel mit Ländern außerhalb der EU erzielt.
Der Bericht der Reflexionsgruppe beleuchtet einen traurigen Zustand. Sobald Umweltpolitik irgendwen irgend etwas kostet, gibt es mindestens ein Land, das die Idee verwirft. Die kombinierte CO2-/Energiesteuer, einst Kernstück der europäischen Umweltdiskussion, taucht in dem Bericht gar nicht erst auf. Sie ist mausetot und dient nur noch als Alibi für die Regierungen, allen voran die deutsche, die sich angewöhnt haben, ihre Umweltprobleme der Europäischen Union zu überlassen. So können sie mediengerecht den Kämpfer für ein wichtiges Bürgeranliegen spielen und trotzdem sicher sein, daß nie etwas daraus wird.
Daß es in der EU trotzdem einige vorbildliche Umweltgesetze gibt, liegt daran, daß es vor dem jeweiligen EU-Beschluß in einzelnen Ländern bereits ähnliche Gesetze gab. Das war bei der Umweltverträglichkeitsrichtlinie so. Die Schlußfolgerung ist einfach: Ein besserer Schutz der Umwelt in der EU ist nur möglich, wenn Regierungen nationale Maßnahmen einführen und dann für die Ausweitung auf die Europäische Union eintreten. Alles andere ist eine Ausrede.
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