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■ ÖkolumneKinderzeugen für den Boom Von Reiner Metzger

Das Modell der Exportnation verschwindet langsam von der Bühne der Weltwirtschaft. Gerade die Verkaufsschlager der Deutschen wie Autos, Maschinen und Chemie werden nun näher am Markt hergestellt, also in den großen Nationen wie USA, China, Brasilien oder Indien. In der bisherigen Dritten Welt winken die Gewinne eines prognostizierten gigantischen Wirtschaftswunders. Verkaufen läßt sich künftig über die Grenzen hinweg hauptsächlich Billigkram, hergestellt von im Weltmaßstab unterbezahlten Arbeitern, oder exklusive High-Tech-Produkte. Arbeitsplätze werden in diesem Modell daher vor allem an den beiden extremen Enden des Lohnspektrums geschaffen.

Der materielle Wohlstand in den Exportnationen wird dadurch im Vergleich zu den aufstrebenden Ländern sinken. Die ersten Auswirkungen sind mit Sparpaketen und Lohndrückereien auch in Deutschland zu spüren. In den Boomländern hingegen steigen Bruttosozialprodukt und Pro-Kopf-Einkommen.

Dies ist eigentlich ein Sieg für die internationale Gerechtigkeit: Die weltumspannenden Konzerne aus den Industrieländern investieren ihre Milliardengewinne, die sie über die vergangenen Jahre in den Heimatländern eingefahren haben, um den Reichtum der armen Staaten zu mehren. Was die Entwicklungshilfe nicht geschafft hat, das regeln die Multis in wenigen Jahren. Das Gefährliche an dieser Entwicklung ist, daß sie zu schnell und darüber hinaus in die falsche Richtung läuft. Die Natur in den Schwellenländern wird zerstört. Menschen sind Umweltkatastrophen aller Art direkt ausgesetzt, wenn sie nicht genug Geld für die gutversorgten Einkaufstempel in den Städten verdienen.

In der Wirtschaft ist das Artensterben jedoch genauso kraß wie in der Natur: Mit der Ausbreitung des Modells der kapitalstarken, häufig multinationalen Konzerne und ihres Finanzsystems werden immer mehr Menschen von einem einzigen Wirtschaftszusammenhang abhängig. Wenn der Laden einmal nicht mehr läuft, so läuft er in Zukunft weltweit synchron schlecht. Krisen und Booms werden also heftiger und abrupter. Ökologen würden von einer extrem anfälligen Monokultur sprechen.

Ärgerlich ist dabei das Gebaren der PolitikerInnen, weil sie wenig bezwecken: Je mehr Länder den freien Fluß des Kapitals und der Waren anerkennen, desto geringer wird der Standortvorteil einer konzernnahen Politik. Das merken zum Beispiel Bundeskanzler Kohl und seine Regierung derzeit schmerzlich. Trotz Beschleunigungsgesetzen und Subventionen investiert die deutsche Wirtschaft zunehmend in den neuen Boomländern und nicht in der Heimat. Staatliche Hilfe müßte nun regionale Wirtschaft fördern und den Menschen so helfen, ihre Existenz in einem überschaubaren Rahmen selbst abzusichern. Das ist natürlich kein Allheilmittel; im globalen Dorf ist niemand gegen die Konkurrenz der Nachbarn aus Asien gefeit. Aber es würde kommende Krisen abfedern.

Die Ausbildung ökologisch und ökonomisch widerstandsfähiger lokaler Strukturen erfordert Zeit und Experimente und müßte daher dringend angegangen werden. Statt dessen werden weiter die Großunternehmen hofiert. Deutschland brauche „andere Bedingungen“, damit das Ausland wieder mehr hier investiere, so auch Edmund Stoiber gestern im Bundesrat bei der Verteidigung des sozialen Sparpakets von Union und FDP. Attraktive Bedingungen für Konzerne bieten nur bevölkerungsreiche Märkte mit niedrigen Löhnen. Die Folge einer solchen Logik wäre: Um nach der Krise ein wachstumsfreudiges Milieu zu schaffen, braucht Deutschland sinkende Einkommen und steigende Geburten. Da wäre der vorausschauende Katholik Stoiber dann mit dem Vatikan einig – zumindest in der Abtreibungs- und Verhütungspolitik.

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