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■ ÖkolumneReale AKW-Gegner Von Jürgen Voges

Was die Innenminister des Bundes und der Länder, vorneweg Niedersachsens Gerhard Glogowski, im Frühjahr rund um Gorleben in Szene setzen wollen, muß man eine Generalabrechnung mit der Anti- AKW-Bewegung nennen. Mit einem Aufgebot, das alle Polizeieinsätze der bundesdeutschen Geschichte in den Schatten stellen wird, soll das Zwischenlager im Wendland nun wirklich in normalen Betrieb genommen werden. Nicht mehr kleckern will Glogowski, nicht mehr Jahr für Jahr einen einzelnen Castor-Behälter durch eine kontinuierlich wachsende Schar von AKW-GegnerInnen prügeln lassen. Im Frühjahr will er klotzen: Irgendwann zwischen Februar und Mai sollen mindestens sechs Castoren gleichzeitig ins Wendland rollen.

Die bundesdeutsche Anti-AKW-Bewegung der vergangenen Jahre – das war der Widerstand gegen diese Transporte, nicht nur im Wendland selbst, sondern auch an vielen Orten entlang der Transportstrecken. Bewegung heißt schließlich Protest in der Öffentlichkeit, auf der Straße. Einige hundert Aktivisten aus dem Wendland haben es über zwei Jahrzehnte geschafft, so auf der Straße präsent zu sein, daß ihnen jetzt eine neue Generation junger umweltbewegter AKW-GegnerInnen nachwächst. Das Symbol dieser neuen Bewegung, das fast leere Gorlebener Zwischenlager, will der Atomstaat nun schleifen. Er will aus der Sackgasse raus, in die er mit den Jahr für Jahr teureren Tag-X-Einsätzen geraten ist.

Nicht mehr „Tag X“, sondern „Tag NiX“ nennen die Widerständler im Wendland bereits den Tag des nächsten Gorleben-Transports. Nicht be-, sondern verhindert werden soll der kommende Sammeltransport. Und wer die Gegend zwischen Dannenberg und Gorleben kennt, weiß, daß 15.000 oder 20.000 AKW- GegnerInnen auf den Straßen dort die Ordnungskräfte vor unlösbare Probleme stellen können.

Die nötige Popularität für eine solche Zahl haben die Atomkraftgegner. Doch nun erklimmt Michael Sailer die Bühne. Nicht nur in der taz hat der langjährige Atomkraftgegner den Blockaden im Wendland den Sinn abgesprochen. Sie führten nur dazu, daß die deutschen Atomkonzerne ihren Müll zur Wiederaufarbeitung ins Ausland schaffen. Wer Gorleben-Transporte ver- oder behindere, vermehre den Atommüll und helfe bei der Erzeugung von Plutonium.

PreussenElektra sagt, daß alle bundesdeutschen Energieversorger in Frankreich nur noch zwischenlagern. Die Wiederaufarbeitung sei nur noch pro forma als Option vorgesehen, um französischem Recht zu genügen. Doch Sailer will dies offenbar nicht wissen. Vor allem aber: Wenn Sailer gegen die Zwischenlagerung in Frankreich ist, warum organisiert er nicht den Protest gegen die Transporte über den Rhein, anstatt den Wendländern zu raten, doch endlich mit ihrem Blockade-Quatsch aufzuhören? Wenn Sailer unbedingt will, daß mit der Suche nach einem Endlagerstandort neu angefangen wird, warum wirbt er dann nicht vehement für den „Tag NiX“? Aus einem erst mal mit Hunderten von Behältern gefüllten Gorlebener Zwischenlager wird der Atommüll nur noch einen Weg nehmen: Die paar hundert Meter über die Bundesstraße in den Endlagerschacht. Mit der Entscheidung über das Zwischenlager fällt auch die Entscheidung über das Endlager Gorleben, und angesichts der geplanten Größe würde dies ein europäisches Endlager werden.

Bis auf weiteres gilt: Auch wer will, daß nicht laufend neuer hochradioaktiver Müll produziert wird, muß in Gorleben auf der Straße sein. Die Maxime der Anti-AKW-Bewegung, erst abschalten und dann über die Entsorgung diskutieren, ist heute so richtig wie je. Denn die Entsorgung und der Widerstand dagegen markieren die Schwäche der bundesdeutschen Atomindustrie. Ohne den Widerstand im Wendland, der für den Widerstand gegen die Atomkraft insgesamt steht, läge der Bauantrag für den neuen deutsch-französischen Reaktor längst auf dem Tisch.

Michael Sailer mag sich eine andere bundesdeutsche Anti-AKW-Bewegung mit anderen Zielen wünschen. Real gibt es aber nur die Anti-AKW-Bewegung, die im Gorleben-Widerstand ihr Symbol sieht. Wer den Ausstieg aus der Atomstromproduktion weiter will, muß bei der drohenden Generalabrechnung auf der richtigen Seite stehen.

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