■ Ökolumne: Wunschmaschine Von Manfred Kriener
Er ist schnell, glänzt, und schwebt mirakulös durch Raum und Zeit. Das Faszinosum eines magnetisch gleitenden Wunderzuges hat vielen den Kopf verdreht. Der erste hieß Albert Christian Albertson, ein Erfinder, Tüftler und Bürgermeister aus einem Kaff im mittleren Westen der USA. Im Jahre 1890 ersann er eine neue Technik mit wunderbarem Namen: „Einrichtung zur Verminderung der rollenden Reibung bei der Bewegung von Fahrzeugen auf rollenden Schienen“. Die Idee des magnetischen Gleitens war geboren. Damit fing das ganze Drama an.
Es dauerte fast ein Jahrhundert bis ein etwas schlichter deutscher Sozialdemokrat aus Albertsons Idee ein politisches Projekt zimmerte: die Magnetschwebebahn, Erlöser der deutschen Verkehrsprobleme. Willy Brandts Verkehrsminister Georg „Schorsch“ Leber verliebte sich Ende der sechziger Jahre unsterblich in den Zukunftszug und wurde zum Vater des Transrapid. Von ihm stammt die propagandistisch einprägsame Formel von der „Kaffeefahrt vom Stacchus an die Alster“, die mit dem neuen Supergleiter möglich werden sollte. Es war die Zeit der Mondlandung, der monströsen Atomphantasien – 240 deutsche Schnelle Brüter bis zum Jahr 2000 – und der Massenmotorisierung. Der Fortschritt galoppierte. Leber trieb den Magnetzug politisch voran, spendierte die ersten Millionen und inszenierte die öffentliche Präsentation. Aber er vernachlässigte die konventionelle Rad-Schiene-Technik. Die Bundesrepublik verlor hier den Anschluß, die Franzosen triumphierten mit ihrem Hochgeschwindigkeitszug TGV, stellten die Weichen für spätere milliardenschwere Exportgeschäfte in Korea und den USA. Der deutsche ICE fuhr chancenlos hinterher – blockiert vom Transrapid.
Der Magnetzug als großes Exportverhinderungsgerät, als Totengräber der deutschen Industrie. Diese Perspektive ist neu. Aber sie entspricht den historischen Tatsachen. Leber schrieb die altbackene Bahn ab, nachdem er die berühmte „Geschwindigkeitslücke“ zwischen Flugzeug und Auto entdeckt hatte. Der Transrapid sollte sie füllen. Er war die neue glitzernde Wunschmaschine auf der reibungslosen Fahrt in die Zukunft. Der ICE wurde erst über Umwege entwickelt. Die Bundesregierung hatte 1972 den Auftrag zur „Erforschung der technischen und wirtschaftlichen Grenzen (!) der alten Rad-Schiene-Technik“ gegeben, um letzte Gewißheiten für ihre Transrapid-Entscheidung zu schaffen. Trotz des präjudizierenden Titels, der das Weltbild der Auftraggeber deutlich verriet, kamen die falschen Ergebnisse heraus: Die alte Bahntechnik war noch längst nicht an ihre Grenze gestoßen, auch sie war bis zu 500 Stundenkilometer schnell.
Die falschen Ergebnisse waren der Startschuß für die ICE-Entwicklung, die zu spät und ohne Begeisterung kam. Während der Transrapid weiter die Herzen der SPD-Minister höher schlagen ließ.
Die Geschichte des Transrapid von 1890 bis 1996 ist jetzt geschrieben. Sie ist spannend. Der Bonner Techniksoziologe Franz Büllingen hat sie recherchiert. Seine akribische, techniksoziologische Doktorarbeit ist eine eindrückliche Parabel über Technik und Demokratie, über die magnetischen Zugkräfte des Geldes, die futuristische Maschine als funkelndes Männerspielzeug und über die brachiale politische Power der Akteure.
Sie heißen Siemens, Krupp, MAN, AEG, Krauss- Maffei, BBC, Dornier. Im Januar 1969 trafen sich die Manager der Konzerne auf Schloß Birlinghoven erstmals zur großen Runde mit den Bonner Ministerialen. Ergebnis: Eine enge Zusammenarbeit wurde vereinbart, ein Netzwerk für den Transrapid gegründet. Seitdem hat es dieses Netzwerk geschafft, ihr Projekt trotz heftigster Kritik von allen Seiten durchzusetzen.
Niemand kann sie aufhalten. Sie schreiben und interpretieren ihre Gutachten selbst, sie igeln sich ein und lassen jede Kritik, jede Kostenexplosion, jede neue, nach unten korrigierte Abschätzung der Fahrgastzahlen, jeden Vergleich mit der alten, zig Milliarden billigeren Bahntechnik abprallen. So ist der Transrapid auf seiner Fahrt ins Technikmuseum vor allem eines geworden: zum Testfall für die gesellschaftliche Restvernunft. Die letzte Weiche ist noch nicht gestellt. Die jetzige Abkoppelung von der Wirklichkeit ist spätestens dann zu Ende, wenn die Rechnungen geschrieben werden und die Banken Penunze sehen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen