■ Ökolumne: Strafkolonie Spargelfeld Von Gert Wagner
Wenn im Frühjahr der Spargel sprießt, wissen deutsche Stammtische, was zu tun ist: Arbeitslose sollen Spargel stechen. Es sei nicht einzusehen, daß Saisonkräfte aus Polen und aus anderen europäischen Ländern diese Arbeit machen, wenn gleichzeitig Arbeitslosengeld gezahlt werden muß. Dieses Argument hat sich in diesem Jahr erstmals auch die Bundesanstalt für Arbeit zu eigen gemacht. Die Arbeitsämter sollen „arbeitslosen Inländern“ Ernteeinsätze anbieten. Bei Verweigerung droht den Erwerbslosen die vorübergehende Streichung ihrer Unterstützung.
Warum sind so wenige einheimische Arbeitslose – neben deutschen auch solche mit ausländischem Paß – von dem Jobangebot aus Nürnberg begeistert? Die Arbeit gilt als hart: Neben der Belastung des Rückens braucht man gerade zum Spargelstechen Geschick und Erfahrung. Die Arbeit qualifiziert jedoch zu keiner anderen Tätigkeit, nicht einmal in der Landwirtschaft. Wegen der fehlenden Jobaussichten kommt es bei dem Ernteeinsatz einzig und allein auf den Lohn an, der auf dem Feld verdient werden kann. Fast allen Arbeitslosen ist dieser offensichtlich zu gering, sonst würden sie sich freiwillig nach solchen Jobs drängeln. Angesichts von Stundenlöhnen unter zehn Mark ist es nicht verwunderlich, daß viele Arbeitslose sich nicht bei einer Feldarbeit plagen wollen, die ihnen keinerlei Zukunftsperspektive bietet.
Würde man den deutschen Erwerbslosen dieselben Reallöhne zahlen wie Erntehelfern aus Osteuropa, sähe die Sache wohl ganz anders aus. Wenn ein polnischer Spargelstecher einen Nominallohn von sechs bis sieben Mark die Stunde bekommt, ist dieser Betrag in Polen wegen der im Vergleich niedrigeren Lebenshaltungskosten das Dreifache wert. Der Reallohn des polnischen Erntehelfers liegt deshalb bei 18 bis 21 Mark. Noch wichtiger: mit zwei Monaten Ernteeinsatz kann ein fleißiger Saisonarbeiter ein Einkommen verdienen, für das er in Polen im Durchschnitt ein Jahr schuften müßte. Würde man deutschen Arbeitslosen für zwei Monate Spargelstechen das Jahreseinkommen eines deutschen Durchschnittsverdieners auszahlen, wären wahrscheinlich alle Gesunden bereit, das „Königsgemüse“ mit schmerzendem Rücken aus dem Boden zu holen, auch ohne Rückkehrperspektive in den normalen Arbeitsmarkt. Spargelstechen müßte also subventioniert werden. Aber derartig hohe „Lohnsubventionen“ sind offensichtlich unsinnig und – außerhalb des Bergbaus – politisch nicht durchsetzbar.
Für die meisten Konsumenten ist Spargel nur „bezahlbar“, weil es in Europa solch krasse Lohnunterschiede gibt. Davon profitieren sowohl die deutschen Verbraucher als auch die osteuropäischen Saisonarbeiter. Wären die Lohnverhältnisse in ganz Europa gleich, könnten sich viele Deutsche heimatlichen Spargel nicht mehr leisten – dafür aber einige Gutverdienende in Polen. Dann würde entsprechend weniger Spargel angebaut. Solange aber niemand Spargelzüchter und den Verzehr von deutschem Spargel subventionieren will, bedeutet die Verpflichtung von Arbeitslosen zum Spargelstechen zu niedrigen Löhnen nichts anderes, als daß Arbeitslose den Normalverdienern ihren billigen Spargelgenuß ermöglichen.
In anderen Bereichen, in denen die Arbeitskräfte besser organisiert sind als in der Landwirtschaft, gibt es derartige Zwangsverpflichtungen aus gutem Grunde nicht. So werden Arbeitslose nicht als billige Arbeitskräfte auf den Bau geschickt, obwohl dort Arbeitnehmer mit Werkverträgen deutlich niedrigere Löhne als Inländer erhalten.
Statt Zwangsverpflichtung für die „Erntefront“ sollten Langzeitarbeitslosen Arbeitsplätze angeboten werden, die Zukunftsaussichten bieten und eine gezielte Weiterqualifikation erlauben. Diese Arbeitsplätze können im öffentlichen Sektor, etwa von den Kommunen, geschaffen werden. Die Arbeitsverwaltung könnte Lohnzuschüsse an ganz normale Arbeitgeber zahlen, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen. Daneben sollte sie in Zusammenarbeit mit den Sozialämtern für eine Weiterbildung und auch eine sozialpädagogische Unterstützung von Erwerbslosen sorgen, die dem Arbeitsleben schon lange entwöhnt sind.
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