Ökologie: "Biotope auf kleinstem Raum"
Der Stadtökologe Herbert Sukopp erklärt, was Pflanzen über die Geschichte Berlins erzählen, warum die Rubinie Trümmerhaufen mag und warum er sich keine Sorgen über den Klimawandel macht.
Herbert Sukopp, 78, Biologe und Soziologe, hat die Forschung zur Stadtökologie maßgeblich geprägt. Der emeritierte TU-Professor arbeitet derzeit unter anderem an einem Atlas zur Verbreitung von Blütenpflanzen in Berlin.
taz: Herr Sukopp, Sie behaupten, die Pflanzen in einer Stadt erzählen deren Geschichte. Wie soll das gehen?
Herbert Sukopp: Einmal ist es so, dass mit jeder Epoche neue Pflanzen dazukommen und andere aussterben. Die, die dazukommen, sind spezifisch für eine Stadt und für die ausgeübten Tätigkeiten. Zum Beispiel brachten die ersten Bauern Unkräuter vom Land mit. Fischer schleppten Uferpflanzen ein. Später entwickelte sich der Gartenbau, und Zierpflanzen von weit her kamen in die bewohnten Gebiete - etwa der Milchstern aus Südeuropa und Flieder und die Rosskastanie vom Balkan. Nicht zuletzt hing die Artenvielfalt in Städten auch immer damit zusammen, welche Kolonialmacht gerade die Vorherrschaft hatte.
Das heißt, der Mensch hat die Artenvielfalt entscheidend geprägt?
Auf jeden Fall. In Berlin ist die Hälfte des Pflanzenbestands vom Menschen eingeführt worden. Auch der reiche Baumbestand entstand durch den Menschen. Der Südwestkorso etwa war der Reitweg Bismarcks, das Grün war also eine Folgeerscheinung der gründerzeitlichen Nutzung. Bäume entlang von Straßen wurden ohnehin erst ab dem 19. Jahrhundert gepflanzt.
Gibt es heute noch Hinweise darauf in Berlin?
Der Straßenname "Unter den Linden" sagt ja schon, dass das etwas Besonderes war: Bäume in der Straße. Alle anderen Gassen waren viel zu eng, und man brauchte Platz für den Mist, den man damals einfach auf die Straße schmiss.
Wie unterscheidet sich denn nun das Grün in Berlin von dem einer Stadt wie München?
In vielen Punkten sind sich die zwei Städte ähnlich. Aber in Berlin ist der Untergrund sandig, in München ist alles Lehm und Schotter. Das ruft natürlich unterschiedliche Pflanzen hervor. Zudem sind wir hier schon in der subkontinentalen Klimazone. Im Trümmerschutt nach dem Krieg entwickelten sich beispielsweise wild und spontan Rubinien - in München war das gar nicht der Fall.
Nach dem Krieg entwickelte sich Berlin rasant, immer mehr Lebensraum für Pflanzen verschwand. Jetzt setzt auch noch der menschlich verursachte Klimawandel der Flora zu. Machen Sie sich Sorgen?
Das Aufregende ist: Die Veränderungen der Landnutzung sind für Pflanzen viel einschneidender als der Klimawandel. Die landwirtschaftlich genutzten Flächen etwa haben enorm abgenommen, außer Blankenfelde und Lübars haben wir ja keine Dörfer mehr innerhalb der Grenzen Berlins. Trockenrasen und Moore sind verschwunden. In der versiegelten Stadt ist es trockener, das sind verschärfte Bedingungen für Pflanzen. Außerdem hängen an jeder Pflanzenart durchschnittlich zehn Tierarten, insofern ist jeder Verlust folgenreich.
Wie reagieren Pflanzen auf die Flächenversiegelungen?
Die meisten können ausweichen, sie verbreiten sich über den Wind. Pflanzen finden immer ihren Platz. Wo gebaut wird zum Beispiel, ist zwei, drei Jahre Baustelle. Da ist zumindest für diese Zeit Platz.
Sehr besorgt klingen Sie nicht.
Nein, denn Berlin ist immer noch ein Mosaik aus einzelnen Biotopen. Es gibt auf kleinstem Raum sehr viele Umwelten. Die Kulturlandschaft in der Stadt ist vielfältiger als die auf dem Land! Vieles hat der Mensch dazu beigetragen: Bevor hier gesiedelt wurde, gab es etwa 700 Blütenpflanzen. Heute sind es doppelt so viele. Die Aussterberate der einheimischen Pflanzen war am höchsten zwischen 1860 und 1900. Damals wuchs die Bevölkerung am stärksten, die Bebauung nahm am meisten zu. Das heißt: Alles hat es damals auch gegeben. Es sind ja nur kleine Stellen in der Stadt, die sich verändern, zum Beispiel der Potsdamer Platz. Viele Bezirke sind seit Jahrzehnten weitgehend unberührt. Ich kenne außer Kiew keine Stadt, die so grün ist wie Berlin.
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