Öko sein, aber Atomstrom beziehen: Vegetarier beim Metzger
Millionen Atomkraftgegner beziehen in der eigenen Wohnung immer noch Atomstrom. Und gerade wenn Ökostromanbieter politisch werben, kann das Kunden abschrecken. Woran liegt das?
Deutsche Wohnzimmer im Herbst 2010: Im Fernsehen flimmern die neusten Nachrichten zum schwarz-gelben Atomdeal. Glaubt man den Umfragen, sitzt da eine Mehrheit der Deutschen auf ihren Sofas und kann es nicht fassen. Hunderttausend hatten gleich ihre Fahrt zur Demo nach Berlin geregelt. Die Bürgergesellschaft positioniert sich gegen die Bundesregierung.
Eigentlich müssten die Fernseher in diesen Wohnzimmern alle mit Ökostrom laufen. Denkt man. Doch der Volksentscheid mit der Stromrechnung ist bisher ausgeblieben. Ein paar Zahlen: Die vier unabhängigen Ökostromunternehmen Greenpeace Energy, Elektrizitätswerke Schönau (EWS), Naturstrom und Lichtblick, die von den Umweltverbänden empfohlen werden, haben im Moment immer noch weniger als eine Million Kunden.
Dazu kommen zwischen einer und zwei Millionen Kunden, die Ökostrom von unzähligen anderen Stromhändlern beziehen, darunter wiederum auch Atomkonzerne. Mindestens 37 Millionen Haushalte beziehen also immer noch Atomstrom, auch die Mehrzahl der vermutlich atomkritischen Wähler der Grünen, der SPD und der Linkspartei.
Selbst den Umweltverbänden ist es offenbar nicht gelungen, die Mehrzahl ihrer Millionen Mitglieder zu Atomboykotteuren zu machen. Schwer vorstellbar, dass ein Vegetarier jeden Tag zum Metzger geht und Fleisch kauft.
Ein Teil der Wechselmüdigkeit könnte ausgerechnet daran liegen, dass die Ökostromer bewusst politisch werben. Das sagt Andreas Homburg, Professor für Wirtschaftspsychologie und Experte für Umwelthandeln: Naturstrom bietet im Moment eine "Atomausstiegsprämie" an.
Lichtblick dagegen, mit den meisten Kunden, betont eher Lifestyle und kommerziellen Erfolg. Homburg meint, das Werben mit Politischem könne fehlende Professionalität vermitteln und die Furcht vor technischen Problemen verstärken.
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Der offensichtliche Widerspruch zwischen politischer Haltung und Konsum sei allerdings ein bekanntes Phänomen. Das sei wie der Gewerkschafter, der zu den Discountern gehe. "Natürlich wissen die Konsumenten um die eigenen Widersprüche", sagt Homburg. "Dann bringt der Hinweis auf Etikettenschwindel beispielsweise psychologische Entlastung. Das Argument, der Ökostrom sei ja gar nicht öko. Oder: wenn ich wechsle bewirkt das ja politisch eh nichts." Das größte Problem: der Glaube an die Konsumentenmacht sei im Strombereich bisher schwach.
Ursula Sladek, die Geschäftsführerin der EWS, hält deshalb seit Jahren Vorträge zur Bedeutung unabhängiger Ökostromunternehmen. Ja, es gebe im Moment eine Welle von Neukunden, die schrieben auch schon mal "mir reichts" auf die Anmeldung. "Gerade jetzt wäre eine noch viel massivere Kündigungswelle ein kraftvolles politisches Signal." Sie stelle in Gesprächen immer noch überrascht fest, dass selbst atomkritische Menschen häufig noch schlecht informiert seien.
Sladek hat für die Blockaden drei Erklärungen: Bequemlichkeit, Bedenken um hohe Preis und die Sorge, es gebe Probleme mit der Stromlieferung. Manchmal jedoch helfen die Atomstromkonzerne selbst: "Witzigerweise haben auch die Pro-Atom-Anzeigen der Konzerne die Leute unglaublich motiviert, weil vielleicht viele erst realisiert haben, dass sie diese Anzeige mitfinanzieren", sagt Marcel Keiffenheim, Sprecher von Greenpeace Energy.
Tatsächlich eignet sich Strom aus Konsumentensicht nicht schlecht für einen einfachen Boykott bestimmter Unternehmen. Ökostrom ist nicht oder kaum teurer, der eigentliche Wechsel im Internet schnell erledigt. Und anders als bei BP heißt die Alternative nicht Shell.
Dem Atomstromgegner werden "die Guten" sogar von allen Umweltverbänden auf dem silbernen Tablett empfohlen. Damit kann man sich problemlos im Ökostrom-Dschungel zurechtfinden. Denn abgesehen von den unabhängigen Anbietern kann der Markt auch verwirren. "Die meisten anderen Ökostrom-Angebote sind keine. Die vermarkten einfach uralte Wasserkraftwerke neu", sagt Energieökonom Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlands.
Wichtig sei, dass durch Ökostrom neue Kraftwerke entstehen. Das geschieht allerdings in Deutschland kaum: Den Strom aus deutschen Windrädern oder Solaranlagen kann man fast nirgends als Ökostrom kaufen. Für den zahlen alle Stromkunden stattdessen einen Aufpreis auf ihre Rechnung. Allerdings gebe es, sagt Leprich, zwei Zertifikate, durch die man erkennen könne, dass Kundengelder in regenerative Anlagen investiert werden: Das ok-power-Label des Öko-Instituts Freiburg und das Grüner Strom Label des BUND.
Noch besser sind die vier empfohlenen Anbieter, denn sie beziehen ihren Strom mit direkten Lieferverträgen ausschließlich von Ökokraftwerken, die zu keinem der Atomkonzerne gehören. Leprich empfiehlt außerdem ökologisch engagierte Stadtwerke, wie Schwäbisch Hall, Saarbrücken oder Flensburg.
Dass hier noch eine große Konsumentenbewegung entsteht, hält Wirtschaftspsychologe Homburg nicht für ausgeschlossen. "Wenn es gelingt, dem Einzelnen das Gefühl zu geben, hier Teil eines machtvollen Kollektivs zu sein, dann können durchaus viel größere Potenziale erschlossen werden", sagt er.
Eine solche Kampagne müsse insbesondere von sozialen Netzwerken getragen werden: Den letzten Kick zur Atomstromkündigung bekommen die meisten von sympathischen Konsumvorbildern aus dem Bekanntenkreis.
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