Öko-Experten legen Umweltgutachten vor: Mut zur Wildnis

Die Umwelt-Ratgeber der Bundesregierung fordern: Wirtschaftsprivilegien streichen, Wildnis schützen und die Agrarlobby an die Leine nehmen.

Das schwimmende Moor an der Jade

Die Wildnis besser schützen: das schwimmende Moor an der Jade Foto: dpa

BERLIN taz | Die Nachricht aus Brüssel kam wie gerufen: Mitten in die Pressekonferenz des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung platzte am Dienstag die Meldung, dass der Europäische Gerichtshof die deutschen Privilegien für die Industrie beim Ökostrom für unerlaubte Subventionen hält.

Da sind die sieben deutschen Öko-Weisen in ihrem aktuellen Gutachten (pdf-Datei) genau der gleichen Meinung: Eine „kritische Überprüfung der zahlreichen energiepolitischen Begünstigungen der Industrie“ fordert ihr Gutachten. Und Harald Bradke vom Fraunhofer Institut ISI in Karlsruhe, beim SRU zuständig für Energie, fand, „nur sehr wenige Branchen“ hätten die Ausnahmen verdient, die sie im globalen Wettbewerb schützen sollen – aber sicher nicht Zementwerke oder Golfplätze.

Derartige „Widerstände“ gegen einen Öko-Umbau listen die Experten auf 462 Seiten in dem Gutachten auf, das sie alle vier Jahre vorlegen. Die bisherige Bilanz ist eher mau: Obwohl Deutschland Vorbild sein könnte und sollte, verfehle die Umweltpolitik ihren eigentlichen Zweck: „Die ökologischen Handlungsnotwendigkeiten sind so groß, dass sie mit den bisherigen Ansätzen eines nachsorgenden oder selbst eines technisch-vorsorgenden Umweltschutzes alleine nicht mehr bewältigt werden können.“

Was es wirklich brauche, sei eine „ökologisch motivierte Transformation der Industriegesellschaft“. So könnte eine CO2-Steuer an den EU-Außengrenzen Ökodumping bei Produkten wie chinesischem Stahl verhindern; gegen die Energiearmut, ein Argument gegen die Energiewende, könne ein „Inklusivkontingent“ helfen, das eine Grundversorgung mit Strom garantiert; und um den Flächenfraß zu stoppen, solle die Politik für „Netto-Null-Verbrauch“ sorgen: Wenn irgendwo eine Fläche bebaut wird, müsse sie anderswo der Natur zurückgegeben werden. Auch die „Pendlerpauschale“ solle überprüft werden.

Das Gutachten ist kein radikales Öko-Pamphlet, sondern eine vorsichtige Handlungsanleitung. Weniger Pestizide ja, aber ein gerade debattiertes Verbot des Gifts Glyphosat wollte der Rat nicht fordern, sondern nur eine kräftige Einschränkung der Nutzung. Außerdem sollte endlich eine Abgabe auf Pesitzide erhoben werden und Gebiete am Rand der Äcker sollten giftfrei bleiben.

Nur leise Kritik beim Thema Wildnis

Auch beim Thema Wildnis gibt sich der SRU eher zahm. Obwohl die Bundesrepublik ihr Ziel verpasst, bis 2020 insgesamt 2 Prozent des Landes entsprechend auszuweisen, kommt vom Rat nur leise Kritik. Dafür soll die Regierung Gebiete ausweisen, die mindestens 1.000 Hektar an Wald umfassen, mindestens 500 Hektar an Flüssen oder Mooren. Bund und Länder sollen auf ihrem Grund und Boden mit gutem Beispiel vorangehen.

Überhaupt erinnern die Experten die Bundesregierung daran, ihren Job zu machen – und als Staat aktiver zu sein. „Es ist wichtig, dass der Staat seine Steuerrolle ausfüllt“, sagte SRU-Mitglied Miranda Schreurs, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin. In der Debatte um Migration und Finanzkrise rutsche das Umweltthema nach hinten, „aber das sind Prozesse über Jahrzehnte, die kann die Wirtschaft nicht regeln, das muss die Politik leisten“.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sagte bei der Überreichung des Gutachtens, alle Politikbereiche müssten sich des Umweltthemas mehr annehmen. SRU-Chef Faulstich hatte da noch im Ohr, was Hendricks’ Vorgänger Peter Altmaier den Umweltweisen attestiert hatte: Ihr Rat gelte erst einmal als „Traumtänzerei, aber zehn Jahre später haben wir es dann gemacht“.

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